Bild nicht mehr verfügbar.

Günter Grass kritisiert die neoliberale Globalisierung aufs Heftigste

Foto: APA/dpa/Perrey
Lübeck - Der deutsche Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass hat massive Kritik an den heutigen Politikern geübt und ihnen den früheren SPD-Politiker und Bundeskanzler Willy Brandt (1913-1992) als Vorbild empfohlen. "Es fehlt der Mut zu dem, was Willy Brandt einst, in Anlehnung an Ernst Bloch, "konkrete Utopie" nannte", sagte Grass bei der Verleihung des Willy-Brandt-Preises am Donnerstag in Lübeck an einen norwegischen Journalisten und deutschen Historiker. "Zwar fehlt es nicht an hilfsbedürftigen Politikern, doch Mangelware sind politischer Weitblick und der Wille, die Ursachen unserer vielfältigen Misere freizuschaufeln."

Grass beklagte innenpolitischen Stillstand. Und Weltpolitisch würden die Ursachen von Terrorismus, nämlich soziale Ungerechtigkeit und Verelendung der ärmsten Länder, also der Nord-Süd-Konflikt, ausgeblendet. "Scheinbar will niemand die Gründe wissen, warum wachsender, bislang mit passiver Leidensfähigkeit ertragener Hunger und die permanente Demütigung so genannter "unterentwickelter" Völker plötzlich in Zorn und nahbei oder weit entfernt in Gewalttätigkeit umschlägt. Der Hass kennt keine Grenzen", sagte Grass laut Redemanuskript. Wer den Hass bekämpfen wolle, müsse nach seinen Ursachen fragen. "Doch in der Regel sind es hausbackene Interessen, die die Politiker der reichen Länder daran hindern, die Wurzeln des von ihnen geförderten, wenn nicht verursachten Unheils freizulegen, denn das hieße, radikal zu handeln."

"Brutale Methoden"

Massive Kritik übte Grass erneut an den USA "als dominierende Weltmacht in ständiger Überforderung". "Entsprechend ungehemmt greift die kapitalistische Marktwirtschaft auf brutale, man glaubte, längste überwundene Methoden zurück, lässt sich als "neoliberal" etikettieren und betreibt die Globalisierung als alternativlose Zwangsläufigkeit" sagte Grass unhd fügte hinzu: "Indem sie beherrscht sind, werden Märkte vernichtet. Die Börsenkurse spiegeln den Prozess dieser schier unaufhaltsamen Selbstzerstörung. Mangels anderer Widerstände ist sich der Kapitalismus selbst zum Feind geworden. Und was die Selbsteinschätzung der USA betrifft, gibt sich die Hybris des Hegemon neuerdings gottgewollt." Grass warf den USA vor, auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 "so machtvoll wie ohnmächtig mit Gegenterror, mit Krieg auf Krieg" reagiert zu haben.

Nach Ansicht des Nobelpreisträgers gäbe es dabei Anlass zu Hoffnung: "Noch nie war die Menschheit so gut informiert; noch nie waren während der langen Geschichte des Menschengeschlechts die Vorräte an Nahrung so ausreichend und überschüssig; nie zuvor gab es so viel weltumfassende Transportkapazität: weltweit vernetzt könnten wir im Nu handlungsfähig sein. Und doch bleiben wir untätig wider besseres Wissen, horten preistreibend die überschüssige Nahrung, transportieren weltweit Waffen und deren menschliches Zubehör, überlassen uns der Willkür der einzig verbliebenen Weltmacht und sehen zu, wie sich unsere magersüchtige Hoffnung von einem Cancun zum nächsten vertagt."

Auszeichnung

Vor einem Vierteljahrhundert hätten Politiker wie Willy Brandt bewiesen, wie Konfrontationen entspannt und Konflikte vorausschauend erkannt werden können. Dem Verlangen der armen Völker nach Gerechtigkeit sei Rechnung zu tragen.

Ausgezeichnet wurden in Anwesenheit der norwegischen Kulturministerin Valgerd Svarstad Haugland der norwegische Journalist Nils Morten Udgaard und der deutsche Historiker Prof. Einhart Lorenz. Beide hätten das Deutschlandbild in Norwegen objektiv und nachhaltig geprägt, begründete der Beirat der Willy-Brandt-Stiftung seine Wahl. Udgaard ist Leiter der außenpolitischen Redaktion der norwegischen Zeitung "Aftenposten" und ehemaliger Bonner Korrespondent des Blattes. Lorenz arbeitet als Professor an der Universität Oslo. Mit zahlreichen Brandt-Biografien hat er das politische Leben des Sozialdemokraten und insbesondere dessen norwegisches Exil zur Zeit des Nationalsozialismus erforscht.

Mit dem Willy-Brandt-Preis werden seit 2000 Verdienste für das deutsch-norwegische Verhältnis gewürdigt. (APA/dpa)