Wien - Das Schiedsgericht der Welthandelsorganisation (WTO) könnte schon bald mit einer Lawine von Klagen konfrontiert werden, vor allem im Agrarbereich. Durch das Scheitern der WTO-Ministerkonferenz vergangenes Wochenende in Cancun ist nun klar, dass die so genannte Friedensklausel mit 31. Dezember 2003 ausläuft. In dieser "peace clause" hatten sich die WTO-Mitglieder verpflichtet, auf Klagen bei der WTO gegen handelsverzerrende Subventionen - vor allem im Agrarbereich - und mangelhafte Umsetzung von Beschlüssen zu verzichten.

Klage bei Verletzung bestehender Handelsregeln möglich

Durch das Auslaufen dieses Stillhalteabkommens bei der Verletzung bestehender Handelsregeln im Agrarbereich könnten nun große Agrarexporteure wie etwa Brasilien gegen das Agrarfördersystem der EU oder der USA bei der WTO Klagen einbringen. Die Friedensklausel wurde in der Uruguay-Runde ausverhandelt und hat bisher große Streitigkeiten um Agrarförderungen verhindert.

Während sich EU oder USA bei den Verhandlungen in Cancun für eine Verlängerung der Friedensklauseln aussprachen, waren die meisten anderen Länder, aber vor allem die Entwicklungs- und Schwellenländer gegen eine Fortführung dieser Klausel.

Pröll: Pröll: Thema wird im nächsten EU-Rat Landwirtschaft behandelt

Österreichs Landwirtschaftsminister Josef Pröll (V) ist sich sicher, dass die Friedensklausel beim nächsten Agrarministerrat in Brüssel "Thema" sein und eine Bewertung stattfinden werde. "Wir werden uns wappnen und mit allen Mitteln kämpfen", sagte der Minister. Die EU habe jedoch praktisch nur die Möglichkeit, auf mögliche Klagen zu reagieren, die Verlängerung der Friedensklausel sei nicht möglich, so ein Experte.

Pröll merkte an, dass Klagen grundsätzlich ein falsches Signal an die WTO-Staaten seien, denn schließlich hätten praktisch alle Staaten versichert, weiter über den Welthandel verhandeln zu wollen. "Wenn das Ergebnis von Cancun noch mehr Streitigkeiten in Genf sind, dann 'Gute Nacht", meint auch Wirtschaftsminister Martin Bartenstein.

Auch die deutsche Landwirtschaftsministerin Renate Künast (Grüne) erwartet durch das Ende der Friedensklausel mit Jahresende, dass es bald wieder deutlich mehr Anrufungen und Schlichtungsverfahren bei der WTO geben werde. "Das wird den Handel nicht gerade erleichtern."

Bilaterale Abkommen zur Umgehung möglich

Wie in anderen Bereichen könnte sich die EU jedoch auch in Agrarfragen über bilaterale Abkommen helfen. EU-Handelkommissar Pascal Lamy hatte gestern bereits erklärt, die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament müssten sich nach dem Scheitern der Ministerkonferenz fragen, ob die EU Alternativen wie den Abschluss bilateraler Abkommen vorrangig behandeln solle. Er ziehe die "Beibehaltung des multilateralen Ansatzes" aber weiter vor.

Der US-Handelsbeauftragte Bob Zoellick hatte ebenso wie der US-Handelsministers Donald Evans nach dem Abbruch der Verhandlungen in Cancun erklärt, die Liberalisierung des Welthandels über bilaterale Abkommen anzustreben. In Cancun haben die USA Vereinbarungen mit Chile und Singapur unterzeichnet.(APA)