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Die lettische Präsidentin Vaira Vike Freiberga.

Fóto: EPA/AFI/NORMUNDS MEZINS

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Grafik: APA
Vaira Vike-Freiberga und Sandra Kalniete haben alle Hände voll zu tun. Bis zur letzten Minute vor dem Referendum am Samstag machten sich die beiden lettischen Spitzenpolitikerinnen - Staatspräsidentin die eine, Außenministerin die andere - für den Beitritt des baltischen Staates in die EU stark. Die Chancen, dass sich ihre Mühe am Ende des Tages ausgezahlt haben wird, stehen gut.

"Hoch in den 50 Prozent" könnte sich die Anzahl der EU-Befürworter laut Andrew Rafbasch, der die EU-Delegation in der lettischen Hauptstadt Riga leitet, bei der letzten Volksabstimmung in den EU-Beitrittsländern bewegen. Andris Piebals, der für Europafragen zuständige Staatssekretär, hat ähnliche Zahlen vorliegen: Von den Letten, die zur Wahl gehen werden, wollen 56 Prozent mit Ja votieren, 24 mit Nein, und 20 Prozent wissen noch nicht, wo sie ihr Kreuzerl hinsetzen werden.

Das klingt nach einer eindeutigen Entscheidung, aber Piebals ist dennoch nicht ganz sorgenfrei. Zum einen ist die Zahl der Unentschiedenen erheblich, und außerdem tendieren Protestwähler, von denen es unter den EU-Gegner viele gibt, dazu, die Meinungsforscher über ihre wahren Wahlabsichten zu täuschen.

Gratiskäse

Ein lettisches Nein zur EU ist unwahrscheinlich, unmöglich aber ist es nicht. "Der einzige Käse, den es umsonst gibt, ist der in der Mausefalle": Mit diesem geflügelten lettischen Wort ließe sich die EU-Skepsis vieler Menschen hier gut charakterisieren. Sie verstehen nicht so recht, welches Interesse die EU hat, wenn sie den Beitritt Lettlands so forciert. Zudem haben 50 Jahre unter sowjetischer Herrschaft das ihre getan, um die Begeisterung, einer "Union" anzugehören, zu dämpfen. Die Meinungsforscher ermittelten genaue Gründe, wo die Frontlinie zwischen EU-Befürwortern und -gegnern verlaufen. In die Union wollen die Jungen, die Gebildeten, die Selbstständigen und die eher Vermögenden - vermögend ist in Lettland ein Haushalt, in dem jedes Mitglied mehr als 160 Euro im Monat verdient. Die EU-Gegner sind arm (mit einem Monatseinkommen von 80 Euro oder weniger), eher alt, weniger gebildet. Im Falle Lettlands gibt es auch einige nationale Spezialitäten, die sich auf das Wahlverhalten auswirken könnten.

Dazu zählt vor allem das überaus komplexe und immer wieder von den Geistern der Vergangenheit heimgesuchte Bevölkerungsgemisch des Landes. 42 Prozent der 2,4 Millionen Letten sind "Russen" - ein Sammelbegriff für die nichtethnisch lettische Bevölkerung. Sie bringen der EU mehr Misstrauen entgegen als ihre lettischen Mitbürger.

Zusätzlich verkompliziert wird die Lage, weil ein Fünftel der auf lettischem Staatsgebiet lebenden Menschen Staatenlose und somit ohne Wahlrecht sind: ein Schönheitsfehler für die Legitimität des EU-Votums. Freilich lässt sich das komplizierte russisch-lettische Nebeneinander auch als Chance begreifen. Wenn das Land der EU beitritt, meint Staatssekretär Piebals, könnte es eine Funktion als politisches Scharnier zwischen der EU und Russland einnehmen.(DER STANDARD, Printausgabe, 20./21.9.2003)