"Wir haben verstanden", hat der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder bisher nach Niederlagen seiner SPD gesagt. Auf diese Floskel hat er diesmal verzichtet. Der Regierungschef hat stattdessen klargestellt, dass er trotz des Wahldebakels für die SPD in Bayern am Reformkurs in Berlin festhalten werde. Schröder hat nachdrücklich die Geschlossenheit der Parteifreunde eingefordert.

Der Kanzler setzt offenbar auf die Devise: Augen zu und durch. Dabei muss die Frage, ob der Kurs so richtig sei, erst recht nach diesem Wahldebakel erlaubt sein. Eigentlich müsste sich der Parteivorsitzende selbst diese Frage - die nicht nur von den Linken nun aufgeworfen wird - stellen. Denn die SPD hat im größten deutschen Flächenland vor allem bei den Arbeitern und Arbeitslosen überdurchschnittlich verloren. Das muss einer Partei, die den Anspruch erhebt, die Interessen gerade dieser Menschen zu vertreten, zu denken geben.

Die rot-grüne Regierung mutet den Menschen mit ihren Reformen allerhand zu. Aber wie das Abschneiden der Grünen auch bei dieser Landtagswahl zeigt, wird das Eintreten für Reformen nicht automatisch abgestraft, sondern durchaus honoriert. Wie Umfragen zeigen, sind die Deutschen auch durchaus zu Reformen im Wirtschafts- und Sozialbereich bereit. Auch die Einsicht, dass Einschnitte unausweichlich sind, ist bei den meisten vorhanden. Was aber nun geschieht, ist, dass jeden Tag neue Einzelvorschläge präsentiert werden, was zur Verunsicherung beiträgt. Dies haben vor allem SPD-Politiker zu verantworten.

Ein fertiges Konzept liegt nur zur Gesundheitsreform vor. Worauf sich die rot-grüne Regierung und die Opposition dabei verständigt haben, bestätigt aber Befürchtungen, dass nicht allen Gleiches zugemutet wird. Es kommen auf Beitragszahler und Patienten erhebliche Mehrbelastungen zu, während Ärzte, Krankenhäuser und Pharmaindustrie praktisch ungeschoren bleiben. Die Frage, ob dies sozial ausgewogen ist, bleibt berechtigt. Auch vom Vorziehen der Steuerreform würden Besserverdienende überproportional profitieren.

Bisher hat noch keine Regierung in Deutschland nach einer Bundestagswahl so schnell Vertrauen verloren - und zwar binnen sechs Wochen. 1998 hat dieser Prozess sechs Monate gedauert. Damals konnte man noch handwerkliche Fehler ins Treffen führen. Diese Rechtfertigung gilt jetzt nicht mehr.

Schröders größtes Problem ist, dass er es bisher nicht geschafft hat, den Menschen in Deutschland zu erklären, warum es ihnen erst schlechter gehen wird, damit es wieder besser werden kann. Die Partei und die Fraktion hat er hinter sich gezwungen, die Menschen im Land kann er aber nicht zwingen, ihm zu folgen. Dabei gibt es zur Reform der sozialen Sicherungssysteme und des in der Bundesrepublik vergleichsweise stark verkrusteten Arbeitsmarkts keine Alternative.

Das weiß auch die Opposition, die sich einer Mithilfe bei der Umsetzung der Reformen nicht verweigern kann. Viel wird jetzt darauf ankommen, wie Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber mit dem Wählervotum in Bayern umgeht. Wenn er es als Aufforderung zur Blockade im Bundesrat versteht und in diesem Sinne handelt, dann bleibt das ganze Land weiter lahm gelegt. Wenn er, wie versprochen, mit der gestiegenen Verantwortung sorgsam umgeht, wird ihm das auch nützen.

Hilfreich wäre auch eine Klarstellung in eigener Sache: Denn derzeit blockieren sich die führenden Unionspolitiker gegenseitig. Sowohl Stoiber als auch CDU-Chefin Angela Merkel streben die Kanzlerkandidatur an, Hessens Ministerpräsident Roland Koch ebenso. Dazu kommt Fraktionsvize Friedrich Merz, der sich auch Chancen ausrechnet.

Dass die Regierung keinen nachvollziehbaren Reformkurs verfolgt und die Opposition nicht in der Lage ist, sich auf eine einheitliche Haltung zu einigen, ist die eigentliche Misere in Deutschland. Die Bayern-Wahl ist ein Fingerzeig für beide Seiten. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.9.2003)