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Cover des "New Yorker" vom Mai 1997

Foto: Archiv
Seine Titelbilder für den "New Yorker" sind ebenso Legende wie seine verstörende Holocaust-Saga "Maus": Art Spiegelmans Zeichnungen provozieren und verunsichern Sehgewohnheiten. Mit dem Comic-Intellektuellen sprach in New York Dietmar Kammerer .


New York – Er gilt als gesellschaftlicher Störenfried und Provokateur mit Biss, dabei wird sein Metier normalerweise als Kinderei belächelt: Art Spiegelman ist ein Comiczeichner, dem renommierte Galerien Tür und Tor öffnen, der auf Kongresse eingeladen wird und dem traditionsreiche Magazine ganze Seiten einräumen.

Dabei hat er sich nie um die Position des Comic-Intellektuellen gerissen. Seine Wurzeln liegen im subversiven Stil des amerikanischen Undergrounds eines Robert Crumb oder des frühen Mad-Magazins. 1980 begann er mit der Herausgabe des Comic-Avantgarde-Magazins Raw.

Schlagartig berühmt wurde er, als er für Maus: Die Geschichte eines Überlebenden, den Comic über seinen Vater, der Auschwitz überlebte, und in dem Juden als Mäuse und Nazis als Katzen dargestellt sind, den Pulitzer-Preis erhielt. Von The New Yorker erhielt er den Auftrag, die Titelseiten zu gestalten. Die Kontroversen, die Spiegelman mit seinen Illustrationen auslöste, hatte das sonst eher bedächtig agierende Magazin wohl nicht geahnt.

Nach den Anschlägen des 11. Septembers, die Spiegelman aus nächster Nähe erleben musste (ein Erlebnis, das er für Die Zeit in der Serie "Im Schatten keiner Türme" verarbeitete), hat er seine Arbeit beim New Yorker mit der Begründung niedergelegt, das Leben sei zu kurz, um nicht genau die Dinge zu machen, die man eigentlich machen möchte: Comics zu zeichnen.

STANDARD: Herr Spiegelman, Sie sind schon seit mehr als dreißig Jahren Comic-Autor.

Spiegelman: Ich lernte lesen wegen Batman. Als Fünfjähriger wollte ich unbedingt herausfinden: Ist das jetzt ein Guter oder ein Böser? Die eigentliche Erleuchtung war jedoch, als ich sah, wie auf meiner Schule ein Mädchen weinte, weil sie einen Comic las. Da wurde mir klar: Es geht also um mehr als um subversiven Humor, Horrorgeschichten oder Slapstick. Dass Comics in jemandem echte Gefühle auslösen konnten, war wie eine Offenbarung für mich . . .

STANDARD: Sie lesen Comics eher so, wie ein Filmregisseur ins Kino geht?

Spiegelman: Das kommt vor. Aber natürlich gibt es immer noch Comiczeichner, die mich richtig gefangen nehmen. Was ich besonders liebe, ist, wenn es jemand schafft, auf seine ganz persönliche Art und Weise eine Welt auszudrücken. Ein Federstrich von Charles Burnes kann mir ein enormes Vergnügen bereiten – und wie sich dieser Strich zum Beispiel von dem eines Gary Panter unterscheidet.

STANDARD: Warum haben Sie nie Superhelden gezeichnet?

Spiegelman: Lange Zeit waren Comics praktisch gleichbedeutend mit "Superhelden- Geschichten". Ironischerweise wird dieses Genre "Mainstream" genannt, obwohl das eigentlich eine verrückte Verkehrung der Tatsachen ist. So als ob Sie in eine Buchhandlung gingen und unter "Roman" würden ausschließlich Sciencefiction-Geschichten stehen.

STANDARD: Weshalb ist ausgerechnet dieses Genre so erfolgreich?

Spiegelman: In den 50er-Jahren gab es in den USA eine Art von Comiczensur. Man glaubte, dass Comics für Leseschwächen und Jugendkriminalität verantwortlich wären. Der Senat leitete Untersuchungen ein, die in einen "Comic Code" mündeten. Darin wurde sehr restriktiv festgelegt, was in einem Comic gezeigt werden durfte und was nicht. Alles, was übrig blieb, waren lustige Geschichten mit niedlichen kleinen Tieren oder eben Superhelden. Denn Superhelden konnten sich prügeln ohne jegliches Blutvergießen. Man konnte diesen Figuren zusehen, wie sie sich gegenseitig quer durchs ganze Universum schmeißen, und es blieb dennoch völlig harmlos. So eine Art übertriebenes Wrestling.

STANDARD: Sie plädieren dafür, sich nicht Hollywood, sondern dem Kunstbetrieb zu öffnen. Ist das nicht ein Aufruf, die subversive Kraft der Comics in die elitäre Abgeschiedenheit zu überführen?

Spiegelman: Damit Sie mich nicht missverstehen: Die Unterscheidung zwischen elitärer oder nicht elitärer Kunst macht für mich keinen Sinn. Wichtig ist, immer eine Mischung von beidem zu haben. Eine Kultur, die nur hinter den festen Mauern der "hohen Kunst" besteht, ist stets in der Gefahr auszutrocknen. Andererseits kann man sich dort erweitern, neue Ideen ausprobieren und ist nicht ständig unter dem Druck zu denken: "Wenn ich Comics machen will, sollte ich besser lernen, große Augen zu zeichnen", weil die Manga-Fangemeinde das so will.

STANDARD: Sie haben einmal geschrieben, Comics würden genau wie das Denken funktionieren. Wie meinen Sie das?

Spiegelman: Das ist einer der Gründe, weshalb man süchtig werden kann nach Comics. Ich glaube, sie haben eine spezielle, direkte Verbindung zu unserem Denken. Filme versuchen bloß, etwas abzubilden, sie sind wie ein falsches Fenster zur Wirklichkeit. Comics sind hingegen ein abstrakteres Medium, und darin liegt ihre eigentlich Kraft.

Die Art von Comics, die ich am meisten liebe, sind solche, in denen die Zeichnungen sehr reduziert sind, fast symbolisch werden. Denken funktioniert ikonisch, ständig werden im Kopf kleine Cartoon- Zeichnungen produziert. Es ist eine kondensierte Sprache, und Comics sind die Kunst der Kondensation, die sich in deinem Kopf entfalten kann. Deshalb sind sie solch ein beeindruckendes Medium. (DER STANDARD, Printausgabe, 24. 9.2003)