Wien/Heidelberg - Peter Nawroth ist stinksauer. Die derzeit in Deutschland und Österreich geführte Diskussion über die Risken einer Hormonersatztherapie "geht am Wesentlichen völlig vorbei". Die Behandlung der Wechselbeschwerden mit Östrogen und Gestagen jetzt zu verteufeln hält der Vorstand der Abteilung für Innere Medizin und Endokrinologie an der medizinischen Universität Heidelberg für ebenso falsch wie den anhaltenden Lobgesang auf die Hormonersatztherapie. Der Krebsspezialist: "Warum kann die Medizin nicht offen und ehrlich zugeben, dass sie keine Ahnung hat, welcher Frau diese Therapieform nutzt und welcher sie schadet?" Hintergrund des laufenden Streits, der auch am heute, Donnerstag, in Wien beginnenden Kongress "Brustkrebs 2003" ausgetragen wird, ist eine unlängst im Medizinjournal The Lancet publizierte Studie an mehr als einer Million Frauen. Danach haben Frauen, die nur mit Östrogen behandelt werden, ein 33 Prozent höheres Brustkrebsrisiko als Frauen ohne Hormontherapie. Die Kombination von Östrogen und Gestagen verdoppelt das Risiko.

Der Aufschrei war enorm, die Ärzte teilten sich in zwei Lager. Eine Gruppe argumentiert, die britischen Daten seien nicht auf Österreich umzulegen, die Hormonersatztherapie sei nach wie vor ein Segen. Die andere argumentiert, dass der Zuwachs an Brustkrebserkrankungen auch in Österreich (3000 Neuerkrankungen 1980, 5200 im Jahr 2002) zum Teil auf Hormone zurückzuführen sei und empfiehlt, die Behandlung zu stoppen.

Zwischen den beiden Gruppen stehen betroffene Frauen, die nun "noch mehr verunsichert sind", ärgert sich Katharina Schuchter, Unidozentin für Gynäkologie und Fachärztin am Wiener Donauspital. Faktum sei, dass in der Vergangenheit zu vielen Frauen Hormone verabreicht wurden. "Vielfach auf Wunsch der Frauen, denen die Therapie von Medizinern als Jungbrunnen verkauft worden ist."

Bis vor kurzem habe man auch geglaubt, dass Hormone Frauen im Wechsel vor kardiovaskulären Erkrankungen schützen könnten. All diese Hoffnungen seien jedoch durch jüngste Studienergebnisse "obsolet". An der Lancet-Studie habe sie am meisten schockiert, dass die Kombinationstherapie ein noch größeres Risiko in sich berge als Östrogen allein. "Postmenopausale Frauen, denen der Uterus nicht entfernt wurde - und das sind viele -, hat man bisher nie Östrogen allein gegeben", sagt Schuchter, "das galt fast als Kunstfehler." Weil man annahm, dass Östrogen allein Gebärmutterkrebs fördere, also kombinierte man.

Verteufeln will die Gynäkologin die Therapie jedoch nicht: "Für manche Frauen sind Hormone das Einzige, um Wechselbeschwerden zu lindern" - Wallungen, Nachtschweiß, Scheidentrockenheit, Juckreiz, Libidoverlust, Schlafstörungen. Nur gehörten Frauen über die Risken aufgeklärt und es müsse klargestellt werden, "dass eine Hormonersatztherapie keinen medizinischen Benefit hat, sondern nur Befindlichkeitsstörungen lindern kann." Wie aber kommt es zu diesen?

Das Keimgewebe der Eierstöcke verbraucht sich während der Zeit der Geschlechtsreife. Beide Ovarien enthalten bei der Geburt etwa eine Million Eizellen, bis zur Menopause sind etwa 99 Prozent verbraucht. Enthalten die Ovarien keine reaktionsfähigen Eifollikel mehr, büßen sie auch die Fähigkeit zur Hormonbildung ein, es versiegt die Östrogenbildung.

"Und das hat einen guten Grund", beteuert Peter Nawroth: "Östrogen ist immer ein Brustkrebsrisikofaktor, nicht erst nach der Menopause, sondern auch in der Jugend." Die Krebs fördernde Wirkung des Hormons sei zu jeder Zeit gleich stark, nur könne der jüngere Organismus und dessen Immunsystem die Tumorentstehung eine Zeit lang unterdrücken, erklärt der deutsche Krebsspezialist. Im Alter um die 50 Jahre herum nehme diese Fähigkeit jedoch rapide ab, "daher zieht der Körper die Notbremse, geht in den Wechsel und hört auf, Östrogen zu produzieren".

Fehlendes Wissen

Das hieße jedoch nicht, dass Frauen im Wechsel, die Östrogen nehmen, Krebs bekommen. "Wir wissen nicht, welche Hormone der Eierstock sonst noch produziert und wie sie auch mit anderen Hormonen interagieren." Die Wissenschaft müsse endlich herausfinden, welche Mechanismen hinter der hormonell induzierten Krebsentstehung stecken und dadurch in die Lage kommen, jene Frauen herauszufiltern, für die eine Hormonersatztherapie fatale Folgen haben kann.

Bis dahin sollte die Hormonersatztherapie nur bei wirklich schweren Befindlichkeitsstörungen eingesetzt werden: niedrig dosiert, kurzzeitig und unter ständiger gynäkologischer Kontrolle. (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25. 9. 2003)