Carla Amina Baghajati
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In Deutschland tobt derzeit ein Streit über die Symbolkraft des muslimischen Kopftuches. Während Behörden und Legislative über Religionsfreiheit und die Neutralität des Staates diskutieren, prangern Frauenrechtlerinnen wie Alice Schwarzer das muslimische Kopftuch als Zeichen der Frauenverachtung und politischen Abgrenzung an. An der Realität in Österreich laufe die Diskussion allerdings vorbei, meint die Frauensprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Carla Amina Baghajati, selbst Kopftuchträgerin und vehemente Verteidigerin der Entscheidungsfähigkeit der muslimischen Frau. Das Gespräch führte Ina Freudenschuß.

dieStandard.at: In Österreich steht es muslimischen Lehrerinnen und Schülerinnen frei, wie sie zum Unterricht erscheinen (siehe: Österreich: Islamgesetz seit 1914). Wie wirkt sich das an den Schulen aus?

Carla Amina Baghajati: Wir haben sehr selten Probleme mit solchen Dingen. Und im letzten Fall, wo einer Schülerin mit Kopftuch die Aufnahme an eine Schule verwehrt wurde, genügte nur ein kurzer Verweis auf die Rechtslage in Österreich und das Mädchen konnte ohne Probleme die Schule besuchen.

dieStandard.at:Trotzdem rufen kopftuchtragende Frauen auch in Österreich Ressentiments hervor.

Baghajati: Das Kopftuch wird als Symbol der Frauenverachtung, der Unmündigkeit der muslimischen Frauen betrachtet. Das hat zu tun mit dem Islamverständnis, das auch in Österreich sehr vorurteilsbehaftet ist. Am Kopftuch machen sich auch die schrecklichen Nachrichtenbilder aus der islamischen Welt fest (z.B. Afghanistan, Nigeria), die auch uns MuslimInnen nachdenklich stimmen und die wir ebenso kritisieren. Es wäre aber denke ich, fatal, diese Frauen zu diskriminieren, weil sie in den eigenen Augen diskriminiert werden. Es muss auch gesehen werden, dass viele Musliminnen ihr Kopftuch freiwillig tragen, weil sie es als Teil ihrer Glaubenspraxis sehen. Solange wir nicht die Chance haben, mit Kopftuch zu partizipieren, können wir die Negativ-Bilder vom Kopftuch auch nicht überwinden.

In Österreich ist die Situation viel entspannter, weil sich die Ressentiments erst gar nicht so aufbauen können. Dass Mädchen und Lehrerinnen mit Kopftuch neben den anderen existieren wird als normal und selbstverständlich wahrgenommen, und das ist gut so.

dieStandard.at: Inwieweit spielt die Politik dabei eine Rolle? Verstehen Sie ihr Kopftuch auch als politisches Symbol? Inwieweit lässt sich Politik von Religion als Wertemotor überhaupt trennen?

Baghajati: Ich sehe mein Kopftuch überhaupt nicht als Symbol. Es ist ein Kleidungsstück, das zur Religionsausübung dazugehört. Nicht mehr und nicht weniger. Aber auch die Musliminnen sehen durch die emotional geführte Diskussion inzwischen die Gefahr, dass es überschwappt in die innermuslimische Auseinandersetzung. Es war nie ein Symbol und das Tragen eines Kopftuches macht auch keine Muslimin aus. Wir treten ein für die Freiwilligkeit, für die Mündigkeit der Frauen, aber die getroffene Entscheidung sollte dann auch respektiert werden. Unterstellungen von Seiten der Frauenrechtlerinnen, wir seien naiv oder zum Werkzeug dunkler Machenschaften geworden, von denen wir keine Ahnung haben, basieren auf mangelndem Dialog und auch der Bereitschaft dazu. So entstehen Gräben zwischen Frauen, die eigentlich nicht sein sollten: Da die intelligente weiße Frau, die ihre Werte exportiert, dort das dumme Opfer, das es zu missionieren gilt.

Grundsätzlich will ich auch noch festhalten, dass bei uns nicht der Laizismus, also die strikte Verbannung des Religiösen ins Private, sondern der Säkularismus als Modell vorherrschend ist. Also: Ja zur Trennung zwischen Staat und Religion, aber auch ja zum gesellschaftspolitischen Stellenwert von Religion.

dieStandard.at: Ziehen sie bei einer Form der Verschleierung auch Grenzen? Grade, was die Burka oder den Tschador angeht?

Baghajati: Ich habe für mich eine Form der Kopfbedeckung gefunden, die mir passt. Aber es fällt mir auch nicht schwer, die Entscheidung einer anderen Frau zu respektieren, sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung. Ich sehe das als Zeichen der Vielfalt in unserer Gesellschaft, die ja eigentlich auch für gut geheißen wird, aber gerade wenn es dann um das Kopftuch oder eine zusätzliche Verschleierung des Gesichtes geht, dann stoßen die Menschen vielfach an ihre Grenzen.

Die Frauen, die ich hier in Österreich mit Gesichtsschleier kenne, machen das mit vollster Überzeugung und oft gegen den Willen ihrer Männer. Denn die Männer fürchten die öffentliche Kritik, wenn sie sich mit ihrer Frau so zeigen. Sie haben Angst, als diejenigen angesehen zu werden, die ihre Frau dazu zwingen.

Es ist nicht so, dass Frauen, die Kopftuch tragen, automatisch gegen Frauenrechte eintreten. Das wäre ein kapitales Missverständnis, und ließe sich aus der Welt schaffen, wenn sich die Menschen mehr für die muslimische Lebensweise interessieren würden. Selbstbewusste Kopftuchträgerinnen, die auf dem Boden der islamischen Theologie eine Fülle an Frauenrechten verankert sehen und auch dafür einstehen, können gar nicht nachvollziehen, was in den Köpfen der westlichen Frauenrechtlerinnen vor sich geht. Dabei wäre das Gespräch sehr wichtig, denn ich bin mir sicher, dass wir dabei sehr viele gemeinsame Positionen entdecken würden. Konkret fällt mir dazu ein gemeinsames Engagement gegen Sexismus am Arbeitsplatz oder in den Medien ein.

dieStandard.at: Eine Regel, die besagt, dass Frauen ihren Kopf bedecken sollen, um den Blick der Männer nicht zu reizen, widerstrebt allerdings dem westlichen Emanzipationsgedanken. Schließlich sind Männer nicht per se lüsterne Nachsteller. Und: Kann man von Männern nicht grundsätzlich Respekt verlangen?

Baghajati: Deshalb gibt es ja auch Verhaltensregeln für die Männer im Islam. Modern gesprochen bedeutet das, keine sexuelle Belästigung von Frauen auch nicht durch Blicke, die scheinbar ausziehen. Das gilt für alle Frauen unabhängig vom Glauben. Ich will mein Kopftuch nicht so verstanden wissen, dass ich Männern mir gegenüber schlechte Absichten unterstelle. Viele Musliminnen sagen, sie wollen in der Öffentlichkeit in erster Linie mit ihrem Charakter wahrgenommen werden und auf die möglichen sexuellen Komponenten verzichten, hier eine Neutralität herstellen.

dieStandard.at: Die Zahl der Kopftuchträgerinnen in der muslimischen Welt hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten stark vergrößert. Wie erklären sie sich das?

Baghajati: Das ist richtig. Die Orientierung an den westlichen Maßstäben, wie es in den 50er und 60er Jahren in der muslimischen Welt üblich war, hat abgenommen. Die Frauen sind nachdenklich geworden, weil mit der westlichen Lebensweise auch sehr viel Konsum verbunden ist und damit nicht zwangsläufig eine Verbesserung ihrer Position einhergeht. Dann haben auch die Bildungsmöglichkeiten für muslimische Frauen zugenommen, was dazu führt, dass sich vermehrt junge Musliminnen nicht aus traditionellen Gründen, sondern um ihre eigene Identität zu leben, für eine Kopfbedeckung entscheiden. Die Frauen leben heute bewusster und das schadet auch der Integration nicht.

dieStandard.at dankt für das Gespräch.