Geht es mir heute besser als vor vier Jahren? Diese Zauberfrage, die der Staatsbürger in stillen Stunden politischer Entscheidungsfindung gerne heranzieht, werden wohl immer mehr Amerikaner mit Nein beantworten müssen. Das Statistische Zentralamt (Census Bureau) hat vergangene Woche aus seinen Daten herausgelesen, dass die Anzahl der Armen in den USA im Jahr 2002, dem zweiten der Ära Bush II, von 11,7 auf 12,1 Prozent gestiegen ist.

Eine Zunahme von 0,4 Prozentpunkten mag auf den ersten Blick nicht so dramatisch erscheinen. Tatsächlich entspricht sie einem Heer von 1,7 Millionen zusätzlichen Menschen, die in die Armutsfalle geraten sind. Auch das mag isoliert betrachtet noch als Nachricht gelten, die Bush verkraften kann, und wenn er zynisch genug wäre, könnte er sich sogar damit trösten, dass die Armen ohnehin nicht (oder nicht so häufig) wählen. Dennoch machen solche Zahlen schlechte Stimmung - und sie sind ein weiteres Steinchen in einem immer größer werdenden Mosaik der politischen Missgeschicke Bushs.

Missgeschick Nummer eins ist die Besatzung des Irak, die teuer und immer schwieriger zu rechtfertigen ist, da sich die ominösen Massenvernichtungswaffen nicht und nicht auffinden lassen wollen. Vor dem Irakkrieg waren es fast ausschließlich Vertreter exponierter politischer Positionen gewesen, die gegen Bushs Pläne auftraten. Jetzt wird auch im US-Mainstream hemmungslos über die augenscheinlich übel durchdachten Nachkriegsszenarien gemäkelt und gemeckert.

Auch die Demokraten, die sich nach 9/11 lange in einem Doublebind von patriotischer Pflicht und politischer Selbstbehauptung verheddert hatten, tun sich in ihrer Kritik an Bush keinen Zwang mehr an. Einen symptomatischen TV- Auftritt lieferte kürzlich Ge^neral Wesley Clark, jener republikanische Dissident, der jetzt als Präsidentschaftskandidat für die Demokraten antritt. Er attackierte nicht nur Bush scharf, sondern er hatte auch keine Schwierigkeit, eine plausibel wirkende Begründung für seinen Seitenwechsel zu präsentieren: Bush habe sich als derartige Enttäuschung erwiesen, dass ihm, Clark, nichts anderes übrig geblieben sei als die Flucht zu den Demokraten.

Peinsam für Bush ist vor allem, dass ihm das Thema Irak bis zum Ende seines Wahlkampfs erhalten bleiben wird - und solange er anderen Staaten kein besseres Angebot macht als das, wenig mitzureden und viel zu zahlen, wird es ihm auch kaum gelingen, eine internationale Allianz zu zimmern, die ihn an der Heimatfront entlasten könnte. Die Folgen der neuen CIA-Affäre, die am Wochenende bekannt wurde, sind noch nicht abzuschätzen, könnten aber verheerend sein, falls sich nachweisen lässt, dass das Weiße Haus sogar nationale Sicherheitsgeheimnisse preisgegeben hat, um einen Kritiker des Kriegs zu diskreditieren.

Fatal ist auch die Kombination, die das kostspielige Irakabenteuer mit dem rasant anwachsenden Budgetdefizit der USA eingegangen ist. Das Kunststück vorzurechnen, was man sich um die 87 Milliarden Dollar, die Bush dem Kongress vor kurzem für den Irak abverlangt hat, in den USA selber Nützliches leisten könnte, erfreut sich derzeit bei schadenfrohen Kolumnisten und der politischen Opposition größter Beliebtheit.

Schlechte Zeiten also für George W. - und doch wäre es frivol, wollte man ihn jetzt schon - mehr als ein Jahr vor den Wahlen - abschreiben.

Von neuen Terroranschlägen bis zum abrupten ökonomischen Umschwung könnte eine Reihe möglicherweise wahlentscheidender Faktoren eintreten - ob sie eintreten und wie sie sich auswirken würden, ist schlicht nicht vorhersehbar. Die Wahl 2004 wird eine Gleichung mit vielen Unbekannten - unbestritten ist aber, dass sich Bush im September 2003 angeschlagen zeigt. Seine Spin-Doktoren werden dramatischen Handlungsbedarf haben, wenn sie das einstige Renommee des strahlenden Terrorbekämpfers und "mitfühlenden Konservativen" auch nur einigermaßen sanieren wollen. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.9.2003)