Begonnen hat Wolfgang Schüssel seine Kanzlerlaufbahn ausgestattet mit dem Vertrauen einer nicht überwältigenden, aber soliden schwarz-blauen Koalitionsmehrheit. Kaum eine halbe Legislaturperiode später reduzierte sich diese Koalition auf eine real existierende schwarze Alleinregierung mit einem zum Stillhalten gezwungenen Teilhaber. Daraus ist in den letzten Monaten faktisch eine Minderheitsregierung geworden, parlamentarisch getragen von der Selbstverleugnung zwangsneurotischer Sesselkleber. Mit dem Wahlsonntag hat die schon sehr dünn gewordene Basis des Vertrauens in seine Kanzlerqualitäten neue Risse bekommen. Die Achtung der Opposition hat er nie gehabt, die FPÖ erkennt in ihm ihren Sargnagel, und nun setzt auch bei seinen Paladinen in den Ländern der Vertrauensschwund unüberhörbar ein.

Für all das hat er nur vier Jahre gebraucht, und nur sein Generalsekretär ließ dem Ehrgeiz freien Lauf, möglichst rasch zum Dr. Seltsam der heimischen Politszene aufzusteigen, indem er befand, der Wahlsonntag wäre ein guter Tag für die ÖVP gewesen. Lediglich die "Erklärungsarbeit" der Koalition müsse noch verbessert werden - also vor allem seine. Das ist man gewohnt nach verlorenen Wahlen. Bisher war damit immer gemeint, den dummen Wählern hätte es an Einsicht in die Weisheit der Regierenden gemangelt. Diesmal waren aber sogar die zu wählenden Landeshauptleute außerstande, Positives am Regierungsstil ihres Vorsitzenden zu erkennen - das ist neu und eine qualifizierte Form des Misstrauens.

Mehr als die abgestandene Erkenntnis, dass einem auch innerhalb einer Partei zumeist das Hemd näher ist als der Rock, lässt sich daraus aber noch nicht destillieren. Wie sich nun viele Nasen in die Morgenluft erheben, um daraus ein Ende der schwarz-blauen Herrschaft Schüssels zu erschnuppern, ist berührend, aber stark verfrüht. Man muss nicht unbedingt jenen Verschwörungstheoretikern folgen, die meinen, der Kanzler habe absichtlich im Bund eine Politik betrieben, die seiner Partei in den Ländern schaden musste, um einigen aufmüpfigen Kritikern seines Genies einen Dämpfer zu versetzen.

Aber sie daran zu erinnern, dass sie seinen Kurs, der der ÖVP bei den Nationalratswahlen 42 Prozent gebracht hat, vielleicht mit unterschiedlicher Begeisterung, letztlich aber doch mitgetragen haben, kann er sich schon erlauben. Verdattert wie der Uhu nach dem Waldbrand jammerte Josef Pühringer, der Urnengang vom Sonntag wäre ja gar keine Landtagswahl gewesen. Aber derselbe Josef Pühringer hat zuvor keinen Zweifel daran gelassen, dass er gegen Schüssels Privatisierungspolitik im Allgemeinen und bei der Voest im Besonderen keinen Einwand hat. Nur der Termin wäre halt falsch gewesen. Solche Kritik dürfte einen Wolfgang Schüssel kaum aus der Gelassenheit reißen.

Um zunächst bis 2006 regieren zu können, braucht Schüssel weniger seine eigenen Landeshauptleute. Die setzen ihn schon nicht ab, auch wenn sie bei noch einigen Wahlen schlecht aussehen. Eher braucht er den Landeshauptmann von Kärnten. Auch der will um jeden Preis weiter regieren und hat mit seiner fast phlegmatischen Reaktion auf das jüngste Debakel seiner Partei sowie mit seinem beflissenen Knicks vor Schüssels Präsidentschaftsmarionette schon deutlich gemacht, wie sehr ihm an einem Gegengeschäft liegt.

Eine FPÖ-Kandidatur für die Hofburg wäre teuer und chancenlos, Frau Ferrero-Waldner abzusegnen, hilft ihm also nur sparen. In Salzburg der ÖVP zu Diensten zu sein, wenn sie ihm in Kärnten den Landeshauptmann rettet, und dann noch zweieinhalb Jahre Parteifreunde mit Regierungsposten in Wien zu versorgen, nützte Haider und Schüssel.

Die Opposition wird es schon aus eigener Kraft schaffen müssen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 1.10.2003)