Wien/Zürich - Ein Koffer mit unbekannten Werken und Textfassungen, Bildern, Büchern, Briefen und Dokumenten sowie einem frühen Filmdokument von Bertolt Brecht (1898-1956) lag in einem privaten Nachlass in Zürich. Der Theaterautor, Schriftsteller und Brecht-Forscher Werner Wüthrich fand ihn im Jänner 2002, präsentierte ihn nun am Donnerstag in Bern gemeinsam mit dem Leiter des Berliner Bertolt Brecht-Archivs, Erdmut Wizisla. Der Anlass: die Vorstellung seiner Brecht-Monografie "Bertolt Brecht und die Schweiz", das Ergebnis seiner mehrjährigen Forschungen.

"Arbeitsdepot"

Wüthrich fand den Koffer im Rahmen des Forschungsprojektes "Bertolt Brecht und die Schweiz", das er seit 1998 am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern betreibt. Das von Wizisla als "größter Brecht-Fund seit Bestehen des Archivs" bezeichnete Konvolut schließe die Lücke, die in der Brecht-Forschung bestanden habe.

Das gefundene "Arbeitsdepot" Brechts zeige, dass dieser sein Arbeitsexil in der Schweiz eigentlich aufrecht erhalten wollte, meint Wüthrich: "Der Schweizerische Staatsschutz hat ihn in die Arme der SED getrieben." Brecht sei, so zumindest Wüthrich, nicht freiwillig in die ehemalige DDR gegangen: "Ich kann beweisen, dass er gar keine andere Wahl hatte".

Aufgetauchte "Koloman Wallisch-Kantate"

Der Koffer enthält Original-Dokumente und Bücher von Brecht und Helene Weigel, die sie 1949 in Zürich zurücklassen mussten, Dokumente von Brecht, die er der Familie Reni und Hanswalter Mertens-Bertozzi 1949 aus Dankbarkeit für die Feldmeilener Wohnung geschenkt hat, Typoskripte im Zusammenhang mit den Vermittler- und Übersetzertätigkeiten für Italien und andere Länder, den Briefwechsel Reni Mertens-Bertozzi mit Brecht und mit Helene Weigel, hektographierte Bühnenmanuskripte aus der Zeit um 1948, das bisher unbekannte Originalmanuskript der "Antigone", zwei Bilder von Teo Otto aus dem Courage-Zyklus 1941, Skizzen sowie einige Bücher und Broschüren von und über Brecht.

Die bedeutendsten Objekte des Fundes stellen aber die bisher für verschollen gehaltene "Koloman Wallisch-Kantate" dar, die Aussagen über Brechts Kenntnisse von Wien und der Ersten Republik in Österreich gestattet, zwölf unbekannte "Keuner"-Geschichten und ein "heimlicher" Fünf-Minuten- Filmmitschnitt einer "Puntila"-Aufführung 1948 am Zürcher Schauspielhaus.

Weitere Einzelheiten zu den Inhalten der genannten Textkonvolute könnten derzeit nicht bekannt gegeben werden, da die Stiftung Archiv der Akademie der Künste in Berlin für das Bertolt-Brecht-Archiv in Ankaufsverhandlungen steht und noch rechtliche Fragen abzuklären sind. Wüthrich und Wizisla hoffen aber, das Zürcher Arbeitsdepot mit den neuen Brecht-Werken sowie die anderen Funde im nächsten Jahr der Öffentlichkeit präsentieren zu können. (APA)