Strukturell sieht die Sache einfach aus: Wenn das neue Nachbarschaftsrecht erlaubt, gegen einen Nachbarn vor Gericht zu ziehen, dessen Gartenbepflanzung störende Schatten wirft, und zugleich der Personalstand der Justiz sukzessive verkleinert wird, kann sich jeder leicht ausrechnen, wann es zu wenige Richter und Staatsanwälte für zu viel Arbeit gibt und das System zusammenbricht. Nein, natürlich bricht es nicht so zusammen wie ein Kartenhaus - die Fälle werden halt ewig liegen bleiben, es wird nach Dringlichkeit sortiert, und immer weniger werden so lange immer mehr zu tun haben, bis nichts mehr geht. Denn nicht nur bei den Damen und Herren im Talar sparen Finanz- und Justizminister einträchtig ein, auch bei den Schreibkräften, der Büroausstattung, kurz bei allem, was rasches und effizientes Arbeiten erst möglich macht.

Auch die Lösungen wären nicht so schwer zu finden: Entweder der Personalstand wird dem steigenden Arbeitsanfall angepasst und aufgestockt, oder der Arbeitsanfall wird reduziert. Vor beidem scheut Justizminister Dieter Böhmdorfer zurück, wobei sein Handeln seinen Argumenten nicht entspricht: Zwar hat Böhmdorfer zugegeben, dass es zu wenige Richter gibt. Doch will er den Fehlbestand zuerst "unter wissenschaftlicher Assistenz" prüfen lassen. Was wird das: eine Abzählkommission?

Da es kaum wahrscheinlich scheint, dass im laufenden Budget eine Nachbesserung zugunsten neuer Einstellung getroffen wird, wäre die zweite Variante einen Versuch wert: Welche Bereiche könnten an außergerichtliche Schiedsstellen ausgelagert werden, wie können Verfahren verkürzt und vereinfacht werden? Vorschläge dazu haben die Richter immer wieder vorgebracht, bloß beachtet wurden sie bisher nicht. Vielleicht macht ja der Geldmangel hellhörig. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.10.2003)