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Wien - Die Krise in der Tschechoslowakei der 60er Jahre und die Rolle Österreichs stehen im Mittelpunkt eines Symposions der Landesverteidigungsakademie, das am Dienstag in der Wiener Roßauer Kaserne eröffnet worden ist. Bis Donnerstag kommen in Vorträgen Experten und Zeitzeugen des so genannten Prager Frühlings zu Wort. Der erste Tag der Konferenz, die in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Gesellschaft für Heereskunde und dem Parallel History Project veranstaltet wird, war vor allem der Einschätzung österreichischer Historiker gewidmet.

Politische Prioritäten

"Ein bissl Freiheit gibt's nicht" - und so hätten die politischen Entwicklungen in der Tschechoslowakei der 60er Jahre, ähnlich wie in der UDSSR unter Michail Gorbatschow in den 80er Jahren, eine gewisse Eigendynamik entwickelt, erklärte der Historiker und Mitarbeiter der Landesverteidigungsakademie, Felix Schneider. Als Volksaufstand sei der Prager Frühling dennoch nicht zu werten, sondern als "Revolution, die letztlich aus der Parteispitze", also von oben, gekommen sei.

In Bezug auf das Verhalten der Vereinigten Staaten hinsichtlich der CSSR-Krise sagte Schneider, man höre immer wieder, die USA hätten wie schon (beim Ungarnaufstand) 1956 "versagt". Allerdings haben diese innen- wie außenpolitisch nach Ansicht Schneiders andere Prioritäten gehabt. Der Historiker nannte unter anderem die Friedenserhaltung in Europa, die Abrüstung, den Atomwaffensperrvertrag, die Lage in Vietnam und im Nahen Osten, aber auch die Ermordung des Bürgerrechtlers Martin Luther King als Themen, die die USA zu jener Zeit beschäftigten.

Hätte man sich wehren können?

Auch der tschechische Historiker und Zeitzeuge Vaclav Kural äußerte die Ansicht, es sei um mehr gegangen als um die Tschechoslowakei. Heute werde - bisweilen emotional - die Frage diskutiert, ob man sich damals hätte wehren können, doch die staatliche Führung unter Alexander Dubcek habe nicht zum militärischen Widerstand gegen die Sowjets aufgerufen. Die tschechoslowakische Armee sei zudem viel schwächer als die sowjetische und auf Feinde im Westen ausgerichtet gewesen. Für eine "Umgliederung" sei keine Zeit geblieben.

Karl Peterlik, der die Jahre zwischen 1963 und 1969 als österreichischer Gesandter in Prag verbrachte, erinnerte sich an die Beziehungen zwischen Österreich und der Tschechoslowakei zu jener Zeit. Es habe "immer größerer Kontakt" und "eine Atmosphäre des Vertrauens" bestanden. Nach der Intervention der Sowjetunion hätten sich viele Tschechoslowaken in Bedrängnis gefühlt. Die österreichische Gesandtschaft habe bis zu 5.000 Visa pro Tag erteilt. Schließlich hätten sich um die 100.000 Tschechoslowaken "quasi als Touristen" in Österreich aufgehalten, von denen die meisten nach der Konsolidierung aber wieder in die CSSR zurückgekehrt seien.

"Interne Angelegenheit"

Als dritter Zeitzeuge kam der damalige Leiter des Nachrichtenamtes im Wiener Verteidigungsministerium, General Alexander Buschek, zu Wort. Buschek erklärte, der Nachrichtendienst habe sich zwangsläufig mehr mit dem Warschauer Pakt befasst als mit dem Westen, wobei die Tschechoslowakei ein besonderer Schwerpunkt gewesen sei. In seiner Behörde habe man immer angenommen, "dass es sich um eine Warschau-Pakt-interne Angelegenheit handelt". Es habe keine Anzeichen gegeben, dass sich der Konflikt ausweiten würde.

Der Ost- und Südosteuropa-Experte Arnold Suppan skizzierte das österreichisch-tschechoslowakische Verhältnis nach 1945 hinsichtlich der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen sowie in Bezug auf die unterschiedliche Bewertung der Vertreibung der Sudetendeutschen. Noch in den 20er Jahren seien die beiden Staaten gegenseitig der jeweils wichtigste Wirtschaftspartner gewesen. In kultureller Hinsicht habe Österreich als neutraler Staat schon in der Zeit bis 1968 eine wichtige Rolle gespielt. Später seien tschechoslowakische Vortragende und Dichter nach Österreich eingeladen worden, und in Wien habe man Havel- und Kohout-Stücke gespielt.

"Sand ins Getriebe"

Trotz der neuen Möglichkeiten nach 1989 ist der Historiker jedoch der Ansicht, es sei - nicht zuletzt auf Grund der Unstimmigkeiten wegen der Benes-Dekrete und der Frage der Atomkraftwerke - "Sand ins Getriebe" der zwischenstaatlichen Beziehungen geraten. Über die Zukunft äußerte sich Suppan optimistisch: "Ich meine, mit Rückblick auf das 20. Jahrhundert, dass wir am Beginn des 21. Jahrhunderts doch viel bessere Chancen haben, mit unserer gemeinsamen Geschichte umzugehen." (APA)