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Montage/Fotos:Archiv
Wien - In Entwicklungsländern ist jeder sechste in Armut lebende Mensch von einer Behinderung betroffen. Jede vierte in Armut lebende Familie hat mindestens ein behindertes Familienmitglied zu versorgen. Eine Studie der Weltbank errechnete den jährlichen wirtschaftlichen Verlust durch Ausschluss von behinderten Menschen vom Arbeitsmarkt mit bis zu 1,6 Milliarden Euro. Armut und Behinderung sind Thema einer Podiumsdiskussion heute, Donnerstag, in Wien.

STANDARD:Es wird heute von einer Doppelfalle Armut und Behinderung gesprochen. Wie ist diese konstruiert?

Nyamubi:Entwicklungsländern fehlt Geld für Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen: keine Spitäler, keine Rehabilitation. Daher ist die Sterblichkeit von Menschen, die etwa bei einem Unfall querschnittgelähmt werden, sehr hoch. Die meisten sterben nach zwei Monaten, wer länger als zwei Jahre überlebt, gilt bereits als Wunder. Warum ich schon 20 Jahre mit meiner Querschnittlähmung lebe, kann ich mir selbst nicht erklären.

STANDARD: Und wie verhält es sich mit anderen Formen der Behinderung?

Nyamubi: Auch da gibt es viele Probleme, vor allem im kulturellen Bereich. Die meisten Leute glauben, dass Menschen mit Behinderungen von Gott bestraft oder verhext wurden. Also werden sie von der Gesellschaft ausgeschlossen. Genau da beginnt ein Teufelskreis. Die ohnedies armen Familien müssen sich allein um ihre behinderten Familienangehörigen kümmern, geben das letzte Geld für sie aus, werden noch ärmer. Behinderung führt zu Armut. Und Armut führt wieder zu Behinderung. Denn viele Erkrankungen, etwa Augenentzündungen, die unbehandelt zu Blindheit führen, könnten behandelt werden, wenn Geld dafür vorhanden wäre. So dreht sich die Spirale aus Armut, Behinderung und Diskriminierung immer weiter.

STANDARD: Sehen Sie einen möglichen Ausweg?

Nyamubi: Ja, und zwar einen, der über die Politik führt. Die meisten Menschen mit Behinderungen leben in den ärmsten Bevölkerungsgruppen. Daher liegt es zunächst nahe, internationale Programme zu starten, um die Armut zu bekämpfen. Der Haken: Wenn sich diese Programme wie bisher fast ausschließlich auf die Armutsbekämpfung konzentrieren und die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen nicht berücksichtigen, dann gehen sie am Ziel vorbei.

STANDARD: Und wie sollten effiziente Programme aussehen?

Nyamubi: Mehr behinderte Menschen müssen in die Politik, in die Regierungen integriert werden. Nur so können effiziente Gesetze erlassen und Programme gestartet werden. Wenn Amtsgebäude für Rollstuhlfahrer unzugänglich und offizielle Schriftstücke nicht in Brailleschrift verfasst sind, so sind das Diskriminierungen, die auf Unwissenheit basieren. Änderung der Politik führt auch zu Veränderung in der Gesellschaft, zu mehr Integration.

Die Christoffel-Blindenmission veranstaltet am Donners- tag, um 19 Uhr im RadioKul- turhaus Wien eine Podiumsdis- kussion über die "Doppelfalle Armut und Behinderung" mit Henry Nyamubi und Vertretern der Entwicklungspolitik. (Andreas Feiertag, DER STANDARD Printausgabe 9.10.2003)