Dies mag wieder einmal einer der - gar nicht so seltenen - Momente sein, in dem verbohrte katholische Fundamentalisten und iranische Mullah-Hardliner derselben Meinung sind: Sie ärgern sich, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, darüber, dass der diesjährige Friedensnobelpreis an eine iranische Anwältin gegangen ist und nicht an den römischen Papst. Das Nobel-Komitee hat eine Entscheidung zugunsten Zukunft und möglicher Wirkung getroffen, als es Shirin Ebadi auszeichnete. So viel sie geleistet hat in ihrem Leben, so wenig war bis gestern ihr Name international bekannt.

Es wird jedoch nicht zu verhindern sein, dass dieser Preis von simpleren Gemütern missverstanden - begrüßt oder abgelehnt - wird, im Westen wie im Osten: als ein Votum gegen den Islam und die islamische Zivilisation. Das Gegenteil ist der Fall: Der Friedensnobelpreis wurde einer Frau verliehen, die beweist, dass Freiheit und Menschenrechte islamischen Ländern nicht von außen oktroyiert, sondern von innen verlangt und keineswegs als mit dem Islam nicht kompatibel empfunden werden. Shirin Ebadi unterscheidet sich zwar durch ihren persönlichen Mut von vielen anderen Menschen in der islamischen Welt, aber sie steht keineswegs allein da: Sie ist Vertreterin einer gewaltigen Strömung, im Iran ist sie Vertreterin der Mehrheit.

Und sie ist eine Frau: Auch wenn das gängige westliche Image der muslimischen Frau so nicht stimmt - im Familienverband sind Frauen durchaus "mächtig", und ein kluger Mann legt sich nicht mit ihnen an -, so bleibt doch der öffentliche Bereich eindeutig Männerdomäne. Die Message des Preises an Ebadi ist, dass muslimische (wobei man über Ebadis Religiosität natürlich nichts weiß) Frauen international wahrgenommen werden können, ihrer Leistung gemäß. Und der Iran hat eben nicht nur ein repressives Regime, sondern ist auch das islamische Frauenpower-Land par excellence. (DER STANDARD, Printausgabe, 11./12.10.2003)