Große Reformpläne für unsere Bundesbahn. Einen defizitären Betrieb zu sanieren, in dem angeblich die Gewerkschaften eine zu große Rolle spielen, und gleichzeitig die Qualität zu halten ist für jede Regierung eine schwierige Aufgabe - aber es gibt ein Vorbild, wie man es nicht machen soll: Großbritannien. Dort ist auf ein Extrem ein anderes gefolgt. Das Resultat war eine Katastrophe.

Die Eisenbahn ist in England entstanden. Sie war ein Vorreiter der industriellen Revolution, und die Eisenbahner waren die Vorhut der Arbeiterbewegung. So viel Tradition war offensichtlich zu viel. Irgendwann kam der Moment, wo das Unternehmen die altehrwürdigen und durch Kämpfe geheiligten Rechte der zahlreichen Gewerkschaften nicht mehr verkraftete.

Eiserne Lady in Aktion

Sie gipfelten in dem inzwischen oft zitierten Recht der Heizergewerkschaft, auf jeder Lok, also natürlich auch auf jeder Elektrolok, einen Heizer mitfahren zu lassen. Margaret Thatcher erschien auf der Bildfläche, rang die Gewerkschaften nieder und privatisierte die Eisenbahn.

Inzwischen ist das britische Bahnsystem laut Aussage des Staatssekretärs im britischen Außenministerium das schlechteste Europas. 25 verschiedene Betreiberfirmen teilen sich das Erbe der einst für ihre Sicherheit, Pünktlichkeit und Bequemlichkeit berühmten British Rail.

Marode Zustände

Die Züge sind überfüllt, schmutzig und verspätet, oft fallen sie wegen technischer Defekte überhaupt aus. Die für die Infrastruktur zuständige Gesellschaft zahlte zwar Dividenden an ihre Aktionäre, hatte aber kein Geld für die ordentliche Instandhaltung des Schienenstrangs und der Signalanlagen. Mehrere Eisenbahnunglücke waren die Folge.

Die nüchterne Diagnose der konservativen Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Die Privatisierung ist gescheitert."

Im vorigen Jahr wurde die Privatisierung teilweise rückgängig gemacht, und eine öffentlich-rechtliche Gesellschaft namens Network Rail trat die Nachfolge der unseligen Infrastrukturgesellschaft Railtrack an. Aber besser wurde nichts. Nach wie vor gibt es eine Vielzahl von Betreiberfirmen, alle haben verschiedene und ständig höher werdende Tarife. Die Bahnfahrt von London nach Edinburgh kostet jetzt doppelt so viel wie die gleiche Strecke mit dem Auto.

Vom Büstenhalter bis zum Handy

Eine Österreicherin, seit langen Jahren zum ersten Mal wieder mit der Bahn in Großbritannien unterwegs, berichtet vom traurigen Wiedersehen mit der ehrwürdigen Londoner Victoria Station: Die große Schalterhalle ist jetzt eine Art Basar, wo man vom Büstenhalter bis zum Handy alles kaufen kann, aber die Schalter für die internationalen Fahrkarten sind in ein finsteres Eckchen verbannt. Dort stehen die Reisenden geduldig Schlange, weil die Mehrheit der Schalter meistens unbesetzt ist. Was nicht unmittelbar Geld bringt, scheint uninteressant zu sein.

Und bei uns? Die von der Regierung geplante Reform sei der erste Schritt zur Zerschlagung der ÖBB, sagt die Eisenbahnergewerkschaft. Stimmt das? Oder sollen nur unhaltbare Privilegien verteidigt werden?

Warnendes Beispiel

Jedenfalls zeigt das britische Beispiel, dass es leichter ist, etwas kaputtzumachen, als es wieder zu reparieren. Es zeigt weiters, dass Private nicht unbedingt und automatisch besser wirtschaften als der Staat. Es zeigt, dass bei öffentlichen Einrichtungen Profit nicht alles ist. Und es zeigt schließlich, dass ideologische Prinzipienreiterei allen Reformen schadet.

Ich fahre in Österreich gern und oft mit der Eisenbahn. Und ich hoffe sehnlichst, dass sich die Verantwortlichen bei uns bei ihren Bemühungen das warnende britische Beispiel vor Augen halten. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 13.10.2003)