Bei seinem Amtsantritt hat Boliviens Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada seinen Landsleuten einen "Vertrauensschock" angekündigt. Die acht Millionen Bolivianer sollten die staatlichen Institutionen wieder schätzen lernen. Ob Korruption oder Misswirtschaft - die Fehler der Vergangenheit, so der bolivianische Langzeitpolitiker, werde seine Regierung korrigieren. Jetzt, vierzehn Monate später, erfährt der Staatschef selbst den zweiten Misstrauensschock seiner Amtszeit. Wie im Februar machen Putschgerüchte in La Paz die Runde.

Das umstrittene Gasgeschäft und die nationalistischen Animositäten gegenüber Chile berühren jedoch nur die Oberfläche der tristen Lage: Bolivien ist das Armenhaus Lateinamerikas. Das Durchschnittsgehalt der mehrheitlich indigenen Bevölkerung beträgt 70 Euro monatlich, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung liegen bei weit über 20 Prozent. Die Einwohnerzahl wächst rascher als die Wirtschaft, Auslandsschulden engen den Spielraum jedweder Regierung in La Paz ein. Die Aufforderung des Internationalen Währungsfonds, den Gürtel doch enger zu schnallen, ist in einem Land, in dem 70 Prozent der Kinder unterernährt sind, an Zynismus nicht zu überbieten.

Dass unter diesen Umständen im Februar der Plan, eine Einkommenssteuer einzuführen, scheitern musste, ist verständlich. Dass jetzt eine Möglichkeit, an Devisen zu kommen (Bolivien hat die zweitgrößten Erdgasvorkommen Lateinamerikas), ausgelassen werden soll, ist kaum zu glauben. Denn hat das Land eine Chance, die 800 Mio. € Verlust aus dem heruntergefahrenen Kokaanbau zu kompensieren, dann mit Gasgeschäften. Auch der linke Oppositionschef Evo Morales, der das Wirtschaftssystem völlig umkrempeln will, wird sie brauchen - ob sie nun mit den USA oder mit Kuba abgeschlossen werden. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.10.2003)