Foto: Filmarchiv
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Ein kunterbuntes Abenteuer: Die Reihe "Kinematografie - elementar" des Filmarchivs Austria führt das Viennale-Publikum in sechs reichhaltigen Programmen an die Anfänge der Filmgeschichte.


Zwei komische Miniaturen - vor gut hundert Jahren auf Film gebannt: Der Gummimann etwa ist ein wahrhafter Fallkünstler - während sein versierter Bühnenpartner mit Kunststücken glänzen will, vollführt er herrlich sinnlose akrobatische Übungen auf und unter einem Tisch und verkeilt sich mit dem Mobiliar. Eine stetig anwachsende Gruppe von Menschen wird dagegen in Un colpo di vento sulla spiaggia bei der Jagd nach allerhand vom Winde verwehten Utensilien allmählich zum hilflosen Menschenknäuel.

Verfilmte Bühnendarbietungen oder "Chases", wilde Verfolgungsjagden und darin eingebaute Slapstickeinlagen gehörten zum Standardrepertoire des frühen Kinos. Ein ungebändigtes Kino der Attraktionen, ein Gesamterlebnis, zu dem Live-Acts gehörten, eine Form von Jahrmarktvergnügen, die ein heterogenes Publikum unterhielt. Es regiert, wie der Filmhistoriker Christian Dewald schreibt, "die Freude am Sehen, die Dynamik der Schaulust. Nichts wäre nicht wert, gefilmt zu werden." Die Reihe Kinematografie - elementar, mit der sich das Filmarchiv Austria im Rahmen der Viennale präsentiert, widmet sich in sechs Programmen und über 80 kurzen Filmen diesen Anfängen des Kinos. Darunter auch Bestände aus der so genannten "Goldstaub"-Sammlung: Nitrofilme, die vor knapp zwanzig Jahren bei einer Mödlinger Kranzschleifendruckerei in einer Kiste unter Blattgoldstaub gefunden und vom Filmarchiv restauriert wurden.

Das Programm ist vielfältig und bunt: Es zeigt quasi dokumentarische Aufnahmen, Reisebilder (In Japan - Blitzfahrten auf dem Ozu-Fluss), frühe "wissenschaftliche" Aufnahmen von bestechender Qualität (Unter dem Mikroskop. Larve der Wasserfliege) ebenso wie Zaubermärchen samt "Special Effects" (Das Huhn mit den goldenen Eiern), frivole Vignetten (Die Macht der Hypnose) oder kurze Abenteuerfilme. Eine "Filmhumoreske in einem Teil" verspricht (und hält) etwa Die verhängnisvolle Wirkung, eine Miniatur der Pathé Frères aus dem Jahr 1905: Ein Heiratsvermittler rät darin zwei potenziellen Ehepartnern, ihre jeweiligen körperlichen Defizite mittels Tinkturen zu beheben. Der Mann bearbeitet also seine Glatze, die Frau ihre magere Oberweite - mit dem Resultat, dass ihr vorne bald ein gewaltiger Haarbusch wächst, während sich oben auf seinem Kopf ein beachtlicher Vorbau bildet.

Abgesehen von der (nach wie vor wirksamen) derben Komik des Films werden hier bereits die Anfänge einer Mise-en-scène sichtbar (das Bild war noch nicht in jener Weise geordnet - und in Einzeleinstellungen aufgelöst -, die heutigen Dreh- und Sehgewohnheiten entspricht): Beständig erweitern und verändern Spiegel oder Türrahmen den bühnenhaften Raum, bringen Bewegung in das statische Grundgerüst. Fünf Jahre später hatten etwa Luigi Maggi und Roberto Omegna in Der Sklave von Karthago die filmische Inszenierung solcher Tableaus bereits weiter vorangetrieben: Eine ausgefeilte Licht- und Schattensetzung und Raumtiefe erzeugt dramatische Wirkung für diesen Vorläufer klassischer Monumentalstummfilme und nimmt einiges von späteren Inszenierungstechniken vorweg. Kinematografie - elementar macht solche Entwicklungen anschaulich. Und außerdem großen Spaß. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.10.2003)