Das Chaos im serbischen Parlament war am Mittwoch perfekt. Oppositionsparteien hatten alle Kräfte mobilisiert und wollten einen Misstrauensantrag gegen die Regierung stellen und Parlamentspräsidentin Natasa Micic ablösen.

Über acht lang Stunden warteten jedoch rund 240 Abgeordnete vergebens auf das Erscheinen von Frau Micic. Die Volksvertreter tranken Rekordmengen Kaffee und streiften nervös durch das Parlamentsgebäude - bis ihnen schließlich ohne plausible Erklärung mitgeteilt wurde, dass die "Arbeitszeit des Parlaments" beendet und die Sitzung auf Donnerstag verschoben worden sei. Als "Skandal", "Blamage" und "Zirkus" bezeichneten Medien den "beispiellosen" Vorfall.

"Fadenscheiniger Trick"

Die regierende Koalition DOS, die "Demokratische Opposition Serbiens", hätte eingesehen, dass sie die knappe Parlamentsmehrheit verloren habe und sich mit einem fadenscheinigen Trick aus der Affäre gezogen, begehrte die Opposition unisono auf. Die Regierung habe das Parlament schamlos missbraucht und wolle nun Zeit schinden, um eventuell noch einige Abgeordnete zu kaufen oder unter Druck zu setzten. "Das ist eine Niederlage der Demokratie", meinte Mladjen Dinkic, Vizepräsident der Oppositionspartei "G 17" sichtlich erbittert.

Vertrauen verweigert

Die serbische Parlamentskrise wurde von den zehn Abgeordneten der kleinen Sozialdemokratischen Partei (SDP) ausgelöst, die Teil der in der Regierungskoalition unter Premierminister Zoran Zivkovic und seiner heterogenen DOS ist, Zivkovic dann aber mit einem Mal das Vertrauen verweigerte.

Zunächst wollte sich die SDP mit dem Rücktritt der Parlamentspräsidentin und einer Regierungsumbildung zufrieden geben, am Mittwoch aber erhöhte sie jedoch den Einsatz und forderte vorgezogene Parlamentswahlen. Die Sozialdemokraten hatten die Regierung zuvor mehrmals bezichtigt, dass sie das elektronische Abstimmungssystem im Parlament manipuliert habe.

Die Parlamentskrise droht jetzt einen kompletten institutionellen Krach in Serbien auszulösen - mit möglicherweise weit gehenden Auswirkungen. Serbien hat keinen Präsidenten, eine Regierung ohne jede Autorität, eine unbrauchbare Verfassung und veraltete Wahl- und Mediengesetze aus der Ära von Slobodan Milosevic.

Die drei größten Gewerkschaften drohen Ende Oktober mit einer Protestwelle in ganz Serbien. Das Präsidium der Koalition DOS hat inzwischen eine Krisensitzung einberufen. Politische Analytiker im Land schließen auch den Rücktritt der Regierung nicht mehr aus. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.10.2003)