Man schrieb das Jahr 30 vor der beglückenden Erhebung von Graz zur Kulturhauptstadt, worunter nach der alten und wohl bald außer Kraft gesetzten Zeitrechnung das Jahr 1973 zu verstehen ist, als in der Murmetropole wieder einmal etwas gegründet wurde. Diesmal war die glorreiche "Grazer Autorenversammlung" an der Reihe.

Zu diesem Behufe hatte sich eine stattliche Schar von Autoren, die zum Teil nichts anderes als der heilige Zorn auf die Österreichsektion des P.E.N.-Clubs einte, im Forum Stadtpark versammelt.

Der Motor dieses Unternehmens war der selige Ernst Jandl, der sich ganz besonders echauffierte und (mangels eines damals noch nicht erfundenen Handys) immer wieder von seinem Sessel hochfuhr und mit rotem Kopf zum Telefon stürzte, um einen literarisch ambitionierten Sekretär des damaligen Unterrichtsministers Fred Sinowatz über den Stand der Dinge zu informieren.

Neben mir kam ein freundlicher, nicht gerade schlanker Herr zu sitzen, der die allgemeine helle Aufregung eher belustigt beobachtete und mir den lakonischen Kommentar, "Wenn's was G'scheit's schreiben täten, müssten's jetzt kan neign Verein gründen", ins Ohr raunte.

Allein mit dieser Äußerung hätte mein Nachbar schon meine volle Sympathie gewonnen. Als er dann auch noch flüsterte, "jetzt muss ich bald was essen, ich glaub', ich hab' a hungrig's Viech im Bauch", war angesichts von so viel elementarer Menschlichkeit für mich brüderliche Freundschaft angesagt.

Mit Hermann Nitsch, der mir diesen netten Sager soufflierte. Im Lauf der Jahre hat der wegen seines heurigen 65ers gerade geehrte Meister in Graz fürwahr nicht nur geflüstert. Wegen einer von Otto Breicha im Grazer Kulturhaus gezeigten Nitsch-Ausstellung ist halb Graz Kopf gestanden.

Ein Tugendbold hat vor dem Kunsttempel eine Fuhre Mist ausgeleert. Der damalige Bürgermeister schrieb in moralischer Empörung das in diesem Fall kulturpolitisch gewiss mehrheitsfähige Wort "Schweinerei" ins Gästebuch. Und so mancher sonst recht forsche Kämpfer für die Moderne präferierte opportunistische Diplomatie vor Solidarität, blieb vorsichtshalber unsichtbar und gab kein Sterbenswörtchen von sich.

Als Freund Nitsch im Jahr 1987 auf dem Grazer Schlossberg gar eine seiner Aktionen (ohne Schlachtung) veranstaltete, schlotterten manchem Grazer Politiker auch dann noch gehörig die Knie.

Wie schön, dass alle Schlotterer von einst nun ganz ruhig durch die Kulturhauptstadt wandeln können. Kein Nitsch in Sicht. Das Schlimmste, was ihnen passieren kann, wäre, dass sie bei einer Festzeremonie im Grazer Kunsthaus bei Regen bisserl nass werden. Nicht schlimm. Man kann sich ja abbeuteln.

(DER STANDARD; Printausgabe, 18.10.2003)