STANDARD: Warum lesen Sie Tageszeitungen?

Adrian Holmes: Fehlt mir Zeitungsjunkie mein Stoff, werde ich zittrig. Ich mag die Tiefe und das Detail, das eine Zeitung bieten kann. Dennoch ist es eine sehr schnelle und effiziente Methode, viele Informationen zu sammeln. 30 Minuten Fernsehnachrichten oder 30 Minuten mit einer anständigen Zeitung? Ich weiß, wo ich mehr für mich herausholen kann.

STANDARD: Und wozu sind Zeitungsinserate gut?

Holmes: TV-Spots sprechen das Herz an, Zeitungsanzeigen das Hirn. Mit einem 30 Sekunden langen Fernsehspot kann man gerade eine Aussage klar und dramatisch rüberbringen. Obwohl die Werbung oft den fatalen Fehler begeht, viel mehr reinzuquetschen.

Eine gute Anzeige ist eine viel großzügigere Leinwand. Es gibt viel mehr Platz für Details, für Information und - das ist entscheidend - für intelligente und argumentierte Auseinandersetzung.

STANDARD: Welches Medium ist für Kreative die größere Herausforderung?

Holmes Das Plakat ist wohl das anspruchsvollste Medium: Es zwingt zur Aussage in einem einzigen Bild mit wenigen Worten. Blaise Pascal, der französische Philosoph und Mathematiker des 17. Jahrhunderts, erklärte einmal einem Freund: "Es tut mir Leid, dass ich Dir einen so langen Brief geschrieben habe. Ich hatte nicht die Zeit, mich kürzer zu fassen."

STANDARD: Was ist das Besondere an Zeitungsanzeigen?

Holmes: Ein großartiges Inserat hat die Kraft, Meinungen zu verändern. Ich bin nicht sicher, ob das ein 30-Sekunden-Spot so gut kann.

Die Printwerbung ist ein unglaublich machtvolles Medium, das sich in den vergangenen 20 Jahren etwas verirrt hat. In Großbritannien ist sie mehr und mehr als rein taktisches Promotionmedium genutzt worden; man sieht in Zeitungen und Magazinen nicht mehr, so wie früher, lang laufende Imagekampagnen.

Das liegt zum Teil an den Auftraggebern, die im TV werben, sobald ihr Marketingbudget groß genug ist. Aber es liegt auch an den Agenturen. Eine traurige Wahrheit, dass es weniger Texter und Artdirektoren gibt, die das Handwerk der Printwerbung beherrschen: wie man ein gutes Layout erarbeitet; wie man einen längeren, zwingend argumentierenden Werbetext schreibt.

STANDARD: Preise holen oft Inserate fast oder ganz ohne Text.

Holmes: Zu behaupten, dass Werbung ohne Worte auskommen kann, ist so, als wollte man ohne die schwarzen Tasten des Klaviers auskommen. Geht sicher auch, aber mit viel weniger Subtilität und Tiefe.

STANDARD: Wozu überhaupt Werbung?

Holmes: Werbung kurbelt Verkauf an, schafft Gewinne, Wohlstand, Arbeitsplätze, Wahlmöglichkeiten, Wettbewerb, Innovation und Qualität. Sie ist einer der großen Motoren unseres Wirtschaftssystems. Manche sagen, dieser Motor verursacht in der kulturellen Atmosphäre ziemlich viel Umweltverschmutzung. Meinen sie, dass die meiste Werbung banal und witzlos ist, müsste ich zustimmen.

Muss man sich hinter dem Sofa verstecken, sobald einer der eigenen Werbespots ausgestrahlt wird, ist es Zeit zu erkennen, dass man in der falschen Branche ist.

STANDARD: Österreich wird vorgehalten, dass seine Löwen in Cannes aus weniger bedeutenden Kategorien stammen.

Holmes: Ja, tut mir Leid. Österreich sollte schön langsam auch in den Hauptkategorien Print und TV Löwen gewinnen, damit der Rest der Welt davon Notiz nimmt. Man braucht dazu nur eine Agentur, die vorangeht. Ich bin sicher, dass das auch mit Österreich geschehen könnte. In Schweden war das eine Agentur namens Paradiset. Ich frage mich, wer es hier sein wird.

STANDARD: Warum konnte Österreich - außer einem Bronzelöwen in den 80ern - nie in der Kategorie Film reüssieren?

Holmes: Drei Tipps für Film-Löwen: Sei einfach, sei lustig und sei mutig. Vielleicht ist die österreichische Werbung zu kompliziert, zu ernst und schreckt vor Risiken zurück. Letzteres betrifft besonders die Auftraggeber. Die schlimmsten Kunden verwenden Vorabtests so wie ein Betrunkener einen Laternenpfahl: um sich anzulehnen, nicht wegen des Lichts.

STANDARD: Ich dachte schon ...

Holmes: Österreichs Werbung bräuchte weniger Risikoscheu, Auftraggeber, die Tests nicht zu ernst nehmen - sie vielleicht sogar ignorieren. Ludwig Wittgenstein meinte: "Wenn niemand etwas Dummes machte, würde nie etwas Intelligentes geschehen."

STANDARD: Gibt es Anzeichen für eine Erholung, für neues Wachstum im Werbegeschäft?

Holmes: Mein Gott, hat das gedauert! In unserer Brache gibt es die hartnäckigsten Optimisten, doch die vergangenen drei Jahre haben selbst deren Optimismus auf das Äußerste beansprucht.

Jetzt sehe ich Licht am Ende des Tunnels. Nein, das ist kein entgegenkommender Zug. (DER STANDARD; Printausgabe, 18./19.10.2003)