Wien - Das von Innenminister Ernst Strasser (V) geplante neue Asylgesetz steht weiterhin schwer unter Beschuss. Nach zahlreichen Hilfsorganisationen und Verfassungsrechtlern spricht sich nun auch der ehemalige ÖVP-Klubobmann und Zweite Nationalratspräsident Heinrich Neisser gegen die Novelle aus. Im Gespräch mit der APA warnt er vor einer "zunehmenden Missachtung der Rechtsstaatlichkeit" durch die Regierung.

Kritik an Berufungsverfahren für Asylbewerber

Auf besondere Kritik Neissers stößt das geplante Neuerungsverbot, das Asylbewerbern im Berufungsverfahren mit wenigen Ausnahmen das Vorlegen neuer Beweise verbieten würde. Er sieht damit "tragende Grundsätze der österreichischen Rechtsordung verletzt". Dieser Passus hatte auch international für Aufsehen gesorgt: Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in Genf warnte kürzlich davor, dass das österreichische Gesetz damit unter den restriktivesten in der EU wäre und den europäischen Harmonisierungsprozess beeinträchtige.

EU-Grundrechtscharta verletzt

Neisser sieht durch das neue Asylgesetz auch die EU-Grundrechtscharta verletzt. Die Charta habe das Asylrecht als europäisches Grundrecht definiert. "Wir sollten zeigen, dass wir es mit der europäischen Grundrechtscharta ernst meinen", fordert Neisser, der im Jahr 2000 als Vertreter der schwarz-blauen Regierung an den Verhandlungen über den (derzeit rechtlich unverbindlichen) europäischen Grundrechtskatalog beteiligt war.

Rechtsanspruch jedes Asylbewerbers auf Bundesbetreuung

Auch die Vorgehensweise des Innenministeriums bei der Bundesbetreuung hält Neisser für "überaus problematisch". Hier soll per Gesetzesänderung der vom Obersten Gerichtshof anerkannte Rechtsanspruch jedes Asylbewerbers auf Bundesbetreuung untergraben werden. "Das ist eine Frage der Rechtskultur", meint Neisser. Er fühlt sich an jene Zeiten erinnert, in denen die Große Koalition vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Gesetze einfach per Zwei-Drittel-Mehrheit wieder beschloss.

Kritik an permanenten Korrekturen

Neissers Kritik beschränkt sich aber nicht auf das Asylgesetz. Auch "die permanenten Korrekturen, die der Verfassungsgerichtshof (VfGH) vornehmen muss" (Stichwort Hauptverband) seien "mit einem seriösen Rechtsstaatsverständnis nicht vereinbar". Ähnliches gelte etwa auch, wenn sich Finanzminister Karl-Heinz Grasser in Zusammenhang mit seiner Homepage durch die eigene Finanzverwaltung einen "Persilschein" ausstellen lasse. Dies seien Situationen, "wo ich wirklich fürchte, dass es zu einer Aushöhlung des rechtsstaatlichen Bewusstseins kommt", so Neisser.

Aufhebung durch den VfGH

Neisser geht "mit großer Wahrscheinlichkeit" davon aus, dass die Asylnovelle - sollte sie in dieser Form beschlossen werden - vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wird. Er stimmt diesbezüglich der Analyse des Verfassungsrechtlers Theo Öhlinger zu, der ebenfalls mit der Aufhebung durch den VfGH rechnet. Öhlinger hatte am Dienstag unter anderem mit Blick auf das Neuerungsverbot gemeint, "wenn in der ersten Instanz falsche Entscheidungen ergehen, die nicht effizient bekämpft werden können, dann ist Österreich in manchen Fällen kein sicheres Asylland mehr".

Die Novelle zum Asylgesetz und das neue Bundesbetreuungsgesetz sollen am Montag im Innenausschuss des Nationalrates beschlossen werden. Zuvor hält die Opposition noch Experten-Hearings ab. Bereits am Mittwoch wollen ÖVP und FPÖ die Gesetze im Nationalrat verabschieden. In Kraft treten soll das neue Asylgesetz frühestens am 1. Mai 2004. (APA)