Der Dokumentarfilm des britischen Journalisten Malcolm Muggeridge über Mutter Teresa trägt den Titel "Something Beautiful for God". Dieser Film aus dem Jahre 1969 hat maßgeblich zum Ruhm der Ordensfrau beigetragen. Muggeridge erinnerte sich, dass die Lichtverhältnisse bei den Aufnahmen in Mutter Teresas Sterbehaus in Kalkutta äußerst schlecht gewesen waren. Als sich Muggeridge, sein Kameramann Ken Macmillan und andere den Film aber das erste Mal ansahen, war die gesamte Szene aus dem Inneren des Sterbehauses in wunderschönes sanftes Licht getaucht, in mildes göttliches Licht, wie Muggeridge präzisierte. "Persönlich bin ich davon überzeugt, dass Ken das erste authentische fotografische Wunder festgehalten hat", bekannte der Filmemacher.

"Hell's Angel" nannte Christopher Hitchens seinen heftig umstrittener Dokumentarfilm über Mutter Teresa aus dem Jahre 1994. Dieser Film und das darauf basierende Buch "The Missionary Position" entmythologisieren Muggeridges Wunderbericht. Kameramann Ken Macmillan erzählt darin, dass er bei den schwierigen Aufnahmen in Mutter Teresas Sterbehaus erstmals einen neuartigen Film von Kodak verwendet habe. Als er das exzellente Ergebnis sah, wollte er "ein dreifaches Hoch auf Kodak" rufen. Er sei aber nicht dazu gekommen, weil Muggeridge mit seiner Lobpreisung des göttlichen Lichtes schneller war.

Religiöser Starkult und unkritische Wundersucht

Begeisterten Verehrerinnen und Verehrern Mutter Teresas hält Hitchens religiösen Starkult und unkritische Wundersucht vor. Die Nonne selbst bezichtigt er der medialen Selbstinszenierung und der unachtsamen Verwendung von Spendengeldern, des religiösen Fanatismus und des unkritischen Nahverhältnisses zu Diktatoren. Die Missionarinnen der Nächstenliebe, den von Mutter Teresa gegründeten Orden, klagt er an, Kranke und Sterbende inadäquat zu versorgen und die eigenen rigiden Regeln über die Bedürfnisse der Leidenden zu stellen.

"Wenn es eine Hölle gibt, dann wird Hitchens wegen dieses Buches dort landen", heißt es in einer Rezension. Kann gut sein. Denn selbst wenn manche Vorwürfe des britischen Autors durchaus nachdenklich stimmen, trägt Hitchens insgesamt allzu dick auf, polemisiert, verletzt, verunglimpft: kein gutes Wort über Mutter Teresa und ihre 4500 Missionarinnen der Nächstenliebe, kein bisschen Lob für ihren täglichen Dienst an den Armen und Deklassierten in Sterbe- und Waisenhäusern, Lepra- und Aidszentren. Sollte die gesamte Weltöffentlichkeit, das Nobelpreiskomitee und sogar das amerikanische Time Magazine, das Mutter Teresa im Dezember 1975 als "lebende Heilige" bezeichnete, einer katholisch-reaktionären Betrugsstrategie zum Opfer gefallen sein?

Auch der zwei Jahre nach Mutter Teresa verstorbene brasilianische Erzbischof Dom H´elder Câmara wurde vom genannten Time Magazine schon zu Lebzeiten als Heiliger tituliert.

Der Erzbischof von Olinda und Recife galt als eine der Symbolgestalten der Kirche der Armen und der lateinamerikanischen Befreiungstheologie. Er verzichtete auf bischöfliches Palais und bischöfliche Kleidung, übergab kirchlichen Grundbesitz an die Landlosen, ließ Priester und Laien an der Leitung seiner Diözese partizipieren und verpflichtete die Priesterseminaristen, in kirchlichen Basisgruppen zu leben. Er forderte eine rasche Umwandlung der ökonomischen und politischen Strukturen Lateinamerikas.

Strukturwandel

Er war sich auch bewusst, dass der Kirche ohne eigenen Strukturwandel die moralische Kraft fehlen könnte, gesellschaftliche Strukturen infrage zu stellen. Dadurch machte er sich weder bei der staatlichen noch bei der kirchlichen Obrigkeit beliebt. Er entging nur knapp einem politischen Attentat, und der Vatikan verweigerte ihm hartnäckig die Kardinalswürde.

"Wenn ich den Armen Brot gebe, nennt man mich einen Heiligen. Aber wenn ich frage, warum die Armen nichts zu essen haben, dann werde ich als Kommunist beschimpft", hat Erzbischof Câmara festgestellt.

Von Mutter Teresa ist keine Aussage dieser Art bekannt und das überrascht nicht. Sie hat den Armen Brot gegeben, Brot und Liebe, Zuneigung und Würde. Das ist sehr viel und sehr vorbildhaft. Sie war barmherzig, hatte aber leider mit sozialer Gerechtigkeit und innerkirchlicher Strukturreform wenig am Hut. Sie trat für den Schutz des Lebens ein, differenzierte aber zu wenig zwischen Verhütung und Abtreibung. Sie war eine starke Frau, aber keine Anwältin weiblicher Gleichberechtigung. Sie war gütig, machte aber mitunter den Falschen Komplimente. (Ihre Bewunderung für Präsident Reagan stand jener der steirischen Landeshauptfrau für Governor Schwarzenegger kaum nach.)

Mutter Teresa war keine perfekte Mutter. Sie war jedoch, um einen psychologischen Begriff zu verwenden, eine "good enough mother". Nicht perfekt, doch gut genug. Gut genug, um selig und demnächst wohl auch heilig gesprochen zu werden. (Der STANDARD, Printausgabe, 21.10.2003)