Der frühere israelische Justizminister Yossi Beilin stellt gemeinsam mit dem palästinensischen Staatsminister Yassir Abd Rabbou am Donnerstag im Wiener Kreisky-Forum das "Genfer Abkommen" vor. Das Interview führte Gudrun Harrer

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STANDARD: Herr Beilin, haben Sie mit der wütenden Reaktion von Ariel Sharon gerechnet?

Beilin: Nein, überhaupt nicht. Er hätte das leicht als etwas Informelles abtun können, stattdessen hat er eine große Sache daraus gemacht. Wahrscheinlich wegen der Leute, die an unserer Seite dabei waren. Es ist ja keine alltägliche Sache, dass ein früheren Generalstabschef, hohe Offiziere, Politiker verschiedener Parteien - auch seiner eigenen - an so etwas teilnehmen.

STANDARD: Würden Sie Ihre Initiative mit Oslo (den Geheimgesprächen Anfang der 90er- Jahre) vergleichen?

Beilin: Oslo war kürzer - und auch die Resultate waren "kürzer". Aber es war ähnlich insofern, als wir direkt miteinander sprechen und nicht auf die Initiative der Supermacht warten wollten.

STANDARD: Haben die Palästinenser tatsächlich auf das Rückkehrrecht verzichtet? Im Text kommt die Formulierung so nicht vor, auch wenn es darauf hinausläuft.

Beilin: Wir haben von den Palästinensern nicht verlangt, dass sie handschriftlich niederschreiben, dass sie auf das Rückkehrrecht verzichten, so wie sie nicht von uns verlangt haben, dass wir handschriftlich niederschreiben, dass wir auf das Recht verzichten, den Tempelberg zurückzubekommen. Aber das heißt nicht, dass wir den Tempelberg oder dass sie ihr Rückkehrrecht bekommen. Träume können bleiben, das ist nicht die Frage. Es geht um Lösungen. Und die Lösung zum Tempelberg ist eben, dass er unter palästinensischer Souveränität stehen wird, ob uns das gefällt oder nicht. Und es wird auch eine internationale Präsenz geben. Und zu den Flüchtlingen ist die Lösung, dass die Anzahl der Palästinenser, die nach Israel kommen können, eine souveräne Entscheidung Israels ist. Als Basis dafür werden wir den Durchschnitt der Anzahl von Flüchtlingen betrachten, die dritte Länder aufnehmen. Also, wenn Österreich 50.000 nimmt und Deutschland 10.000, so nehmen wir 30.000.

STANDARD: Unter israelischen Intellektuellen hat es zuletzt eine Diskussion darüber gegeben, ob eine Zwei-Staaten-Lösung überhaupt noch machbar sei, angedacht wurde ein binationaler Staat. Was meinen Sie dazu?

Beilin: Ein binationaler Staat ist nicht mein Israel. Ich möchte einen jüdischen demokratischen Staat, der auch ein Staat für alle seine Bürger ist. Ich möchte keinen binationalen Staat, in dem die Juden früher oder später eine kleine Minderheit sein werden. Wir waren eine Minderheit überall auf der Welt, und Israel war als etwas anderes beabsichtigt, als ein Staat mit einer jüdischen Mehrheit.

Foto: APA/EPA/Awad Awad
Yossi Beilin (li.), Yassir Abd Rabbou.

Yassir Abd Rabbou: "Keiner bekommt alles, was er will"

STANDARD: Herr Abd Rabbou, haben Sie im Namen der Palästinenser auf das Rückkehrrecht verzichtet?

Abd Rabbou: Das Abkommen ist sehr balanciert, es gibt keiner der beiden Seiten alles, was sie wollen, weder den Palästinensern noch den Israelis. Es gibt eine Balance zwischen den Lösungen für verschiedene Punkte und auch innerhalb der Lösung für jeden einzelnen Punkt. Wir haben drei Jahre gebraucht, um diese Balance herzustellen. Jeder Versuch, die Balance in nur einem Punkt zu verändern, würde die ganze Struktur der Abmachung zusammenbrechen lassen. Weil sie balanciert, umfassend und detailliert ist, haben wir mehr Unterstützung als Kritik bekommen, sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite. Mit mehr Erziehungsarbeit, Beteiligung von Politikern und einer Kampagne, die wir starten werden, bin ich sicher, dass wir die Mehrheit der öffentlichen Meinung gewinnen können.

STANDARD: Wie steht Präsident Yassir Arafat dazu?

Abd Rabbou: Ich habe die Palästinenserbehörde nicht offiziell vertreten, obwohl ich ihr (als Staatsminister, Anm.) angehöre. Aber es gab eine unterstützende und begrüßende Erklärung der Behörde, in der zur Fortsetzung der Arbeit aufgerufen wurde. Natürlich kann die Behörde das Abkommen nicht offiziell annehmen, denn auf der anderen Seite gab es keinen offiziellen israelischen Partner. Auch die Überzeugung in der Öffentlichkeit wächst, dass das die einzige realistische Lösung ist.

STANDARD: Haben Sie schon amerikanische Reaktionen?

Abd Rabbou: Wir haben den Amerikanern das Dokument übersandt, sie sagten, sie wollen es studieren. Als inoffizielle Reaktion haben wir gehört, dass die Roadmap das Einzige sei, was gespielt werde. Damit sind wir durchaus einverstanden: Wir verstehen unser Abkommen als Ergänzung und Erleichterung der Roadmap, es entwirft das, was die Roadmap als Lösung vorsieht, einen palästinensischen Staat bis 2005. Ich hoffe, die Amerikaner verstehen das so. Unser Plan geht keinesfalls gegen die Roadmap, sondern beschäftigt sich mit den Details der Vision der Roadmap. Deshalb hoffen wir, dass er angenommen wird, von allen involvierten Parteien.

STANDARD: Warum reden jetzt plötzlich alle - auch Ariel Sharon - wieder von der totgesagten Roadmap?

Abd Rabbou: Ja, Sharon erinnert sich jetzt an die Roadmap, weil er unser Abkommen als in Konflikt mit der Roadmap stehend darstellen will. Aber er meint die Roadmap mit den 14 israelischen Vorbehalten, was ja in Wahrheit nichts davon übrig lässt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.10.2003)