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Das Archivbild vom 23.10.2002 zeigt Einsatzkräfte vor dem Moskauer Musicaltheater. Bei der Befreiungsaktion kamen alle 41 Terroristen und 129 Geiseln ums Leben, unter ihnen die Frau des Österreichers Dimiter Uzunov.

Foto: APA/EPA/Sergei Chirikov
"Pass gut auf die Kinder auf!" waren die letzten Worte, die Dimiter Uzunov, österreichische Geschäftsmann bulgarischer Abstammung, von seiner Frau Emilia am 24. Oktober 2002 erhielt. Gesprochen von einem fremden Handy aus, das den Geiseln für eine kurze Mitteilung nach außen zur Verfügung gestellt wurde. Heute gehe es ihm und den beiden minderjährigen Töchtern "den Umständen entsprechend, das Jahr war ganz schlimm". Wenige Dutzend Meter von der Wiener Wohnung liegt Emilia begraben.

Für die gemeinsame Firma war sie nach Moskau geflogen. Theaterkarten waren für den 24. Oktober reserviert. Ein unerwarteter Geschäftstermin wirft die Pläne für den Abend um. Die ursprünglichen Karten für das Musical müssen für den 23. Oktober eingetauscht werden. Noch am selben Abend sollte ein Moskauer Firmenvertreter Dimiter von der fatalen Terminänderung unterrichten: Ja, Emilia sitze im Theater, er selbst habe sie mit zwei Frauen hingefahren.

Dimiter sitzt in Wien mit seinen Kindern vor dem Fernseher. Dass seine Frau in der Gewalt tschetschenischer Terroristen sein sollte, registriert er mechanisch, fassen kann er es nicht. Wenige Stunden später der Anruf seiner Frau. Noch mit der Abendmaschine fliegt Dimiter nach Moskau. Geschichte der Irreführung Was folgte, ist eine Geschichte der Irreführung durch die Behörden. Dass die Geiselnahme mit einem Sturm - nach Angaben einer Überlebenden mittels eines lähmenden Hochfrequenzblitzes mit nachfolgendem bräunlichem Gas - beendet wurde, kritisiert Dimiter nicht. "Auch im Westen hätte man wohl gestürmt", nimmt er an, wenn auch nicht felsenfest überzeugt. Verschwörungstheorie

Vielleicht gab es doch noch Verhandlungsspielraum, wie Vermittler danach angaben. Das ist gleich schwer zu beurteilen wie all die Verschwörungstheorien rund um das Ereignis, das nach russischer Erfahrung wohl nie aufgeklärt werden wird.

Es ist die Rettungsaktion nach dem Sturm, die Dimiter seit einem Jahr ratlos lässt. Ob man die Ärzte über die Art des verwendeten Gases bewusst im Unklaren ließ, sei schwer zu sagen. Analog zum Untergang des Atom-U-Bootes Kursk spreche viel für Schlamperei und Nachlässigkeit, gepaart mit Gleichgültigkeit gegenüber menschlichem Leben.

Jedenfalls hat Dimiter keine Nadelstiche etwaiger Infusionen auf der Leiche seiner Frau gefunden: "Vielleicht kam Emilia schon tot ins Krankenhaus." Wer könne es wissen? Scheinbar wissend gaben sich lediglich die russischen Behörden: Keine Entschädigungen

Frau Uzunov lebe, hieß es aus einer angeblich zuverlässigen Kremlquelle gegenüber der österreichischen Botschaft wenige Stunden nach dem Sturm am 26. Oktober in der Früh. Emilia aber war bereits um 8 Uhr verstorben, wie der Obduktionsbericht festhält: Übermüdung, Überanstrengung, Nahrungsmangel und vieles mehr hätten demnach zum Tod geführt, schließlich auch die Wirkung des Gases, heißt es am Ende lapidar.

Um keine Schuld einzugestehen, gibt es auch keine Entschädigungen. Dimiter zieht einen Vergleich: "800 bis 900 Millionen Dollar konnte man für Feuerwerke zum Petersburger Stadtjubiläum ausgeben." Einzig den Transport der Leiche nach Österreich hat der russische Staat bezahlt. Unverständnis

Das Unverständnis über die Aktionen der Behörden verdeckt freilich nicht Dimiters Zorn auf die Terroristen. Wie kann man Unschuldige für politische Ziele instrumentalisieren? Und warum wurden die ausländischen Geiseln entgegen der Ankündigung nicht freigelassen? Und weshalb wurden gerade die Frauen nach Auskunft einer Überlebenden von den Terroristinnen schlechter behandelt als die Männer?

Es sind Fragen wie diese, die Dimiter im letzten Jahr Vergessen bei den Kindern und in der Arbeit suchen ließen. 18 Jahre war er mit Emilia verheiratet. Die Kinder Ausdruck ihrer Liebe. Jeden freien Moment verbringt er mit ihnen. Nichts mehr wird seit der absurden Katastrophe des Vorjahres auf den nächsten Tag verschoben. Leben wurde zur reinen Gegenwart, versucht Dimiter die Veränderungen des letzten Jahres zu umreißen: "wir wissen nicht, was morgen passiert". (DER STANDARD, Printausgabe, 24.10.2003)