Wien - Eine Wiedergängerin, könnte man meinen, oder auferstanden von den Toten: Verblüffend ähnlich sieht diese Person mit Sonnenbrille, Hut und Hosenanzug, die zwar langsam, aber ungemein vital für ihr scheinbares Alter auf die Bühne der Kulisse trippelt, der Hildegard Knef. Doch sie nennt sich Irmgard, deren (Zwillings-)Schwester, die immer im Schatten des Wirtschaftswunder-Stars stand: 1960, als die eine Cocteau spielte, arbeitete die andere als Sprecherin - von Endlosbändern bei der Post.
Nun ist die Hilde im Himmel: Noch einmal miteinander zu jazzen und zu swingen, dieser Traum erfüllt sich nicht mehr. Und als Double, das mit zusammengepressten Knien am Barhocker sitzt, einfach nur die altbekannten Chansons zu singen (wie im ersten Programm, mit dem Ulrich Michael Heissig auch bei Wien ist andersrum begeisterte), wäre ihr ein wenig zu billig erschienen: Keine roten Rosen mehr! Schwesterseelenallein also trägt sie Songs vor, die Gershwin u. a. ihr geschrieben haben - Pause - könnten.
Ohne Band ist sie da, aber mit Band: "Kindchen, fahr ab!", haucht sie dem Tonmeister zu, wenn sie mit einer Anekdote aus Kreuzberg und der Zeit vor "meinem Coming-out als Schwester" zu Ende ist, um zu intonieren: "So bin ich - und so war auch sie!"
Emanzipation ist schwer: Ulrich Michael Heissig bleibt Kopist, ganz nah bei seinem Idol, sowohl was die Gestik als auch die Inhalte der Lieder betrifft. Er macht es in der Regie von Thomas Engel allerdings perfekt: Die Hand mit dem Mikro zittert, die dritten Zähne schmatzen, Sätze vernuscheln im Erahnbaren.
Und mit seinen wunderbaren Wortspielen, den Doppeldeutigkeiten (Freund Bob, der ihr einst den Jazz näher brachte, schlief auch mit Männern, daher nannte sie ihn Bebop), vermag er blendend zu unterhalten. Aber eben: keine roten Rosen, sondern Neukompositionen beziehungsweise Neutextierungen (zu Melodien auch von Franz Schubert und Johannes Brahms). Nach der Pause wird der Abend melancholisch, vielleicht sogar schwerfällig, immer aber mit hohem Niveau: "Wer spricht schon von Siegen? Überstehen ist alles!" Und am Grabstein soll stehen: "Hier liege ich, ich kann nicht anders."
Als Zugaben folgen Cover von Sinatra-Nummern: neben "The Lady is a Tramp" (ja, wirklich!) das grandiose Wienerlied "Ottakring, Ottakring", das sich im Original "New York, New York" nennt. Keine Frage: Das Zwitterwesen mit dem sanft swingenden Seidenschal entfacht damit Begeisterungsstürme.