Wien - In der Einleitung ihres Reformkonzepts beschreibt die von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (V) eingesetzte "Zukunftskommission" Grundprobleme des österreichischen Schulwesens, die durch ihre Arbeit behoben werden sollen. Zwar betonten die Kommissionsmitglieder bei der Präsentation der Plattform am Samstag, dass der Reformbedarf in Österreich nicht so akut wie etwa in Deutschland sei. In ihrem Bericht listen sie aber unter dem Titel "Sorge um die Leistungsfähigkeiten der Schule" eine Reihe von Problemen auf.
Durchschnittliche Leistung zu hohen Kosten: Bei internationalen Untersuchungen liegen die Leistungen der österreichischen Schüler zwar meist im oberen Mittelfeld - allerdings werden die Plätze bei Vergleichstests mit anderen Staaten zwischen Volksschulzeit und Matura eher schlechter. Bei der PISA-Studie wurden von einigen Staaten Spitzenleistungen mit wesentlich geringeren Kosten als in Österreich erreicht. Außerdem sind rund 18 bis 20 Prozent der 15/16-Jährigen als schlechte Leser einzustufen, der Förderunterricht in diesem Bereich ist nicht effizient.
Starke Einflüsse von Herkunft und Geschlecht: Österreich gehört zu jenen Staaten, in denen der Einfluss des sozioökonomischen Status von Schülern auf die Leistung besonders ausgeprägt ist: Kinder aus einem sozial benachteiligten Milieu haben geringere Chancen, die gleichen Standards zu erreichen wie Kinder aus einem höheren. Bei den Leseleistungen haben die Mädchen deutliche Vorsprünge, bei der Mathematik und in den Naturwissenschaften die Burschen. In Mathematik hat Österreich zusammen mit Korea und Brasilien sogar die größten Differenzen zwischen den Geschlechtern.
Leistungsunterschiede innerhalb gleicher Schularten: Zwischen einzelnen AHS und BHS gibt es eine große Streuung der Durchschnittsleistungen. Andererseits wurde in Tests an vielen Hauptschulen höhere mathematische Kompetenz erreicht als in einzelnen AHS-Klassen.
Unterschiedliche Anforderung für gleiche Berechtigung: Je nach regionaler Situation müssen für gleiche Berechtigungen bzw. Abschlüsse ganz unterschiedliche Leistungen erbracht werden. Schüler in ländlichen Hauptschulen brauchen etwa bis zu zehn Intelligenzpunkte mehr als ihre Kollegen in der Stadt, um in die erste Leistungsgruppe aufgenommen zu werden. Anderes Extrem: Es gibt AHS-Klassen, deren Durchschnittsleistung in Mathe und den Naturwissenschaften niedriger liegen als die Durchschnittsleistungen von zweiten Leistungsgruppen ländlicher Hauptschulen.
Rückgang der Freude am Lernen: Mit dem Übertritt von der Volksschule in die Hauptschule bzw. die AHS-Unterstufe beginnt ein spürbarer Rückgang der Freude am Schulbesuch, des Interesses am Lernen und der Zufriedenheit mit Schule und Lehrern. Umgekehrt nehmen etwa Schulangst, Stress und psychosomatische Beschwerden deutlich zu. Eine "Erholung" gibt es erst bei jenen Jugendlichen, die nach der Pflichtschulzeit in Vollzeitschulen verbleiben.
Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten: Nach Erfahrungen der Lehrer lässt sich in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten eine deutliche Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten in der Schule feststellen. Dabei geht es vor allem um Unterrichtsstörungen, sozialem Fehlverhalten und vereinzelt Gewalthandlungen.
Leistungsbeurteilung: Ziffernnoten haben nur einen geringen Informationswert für Zwecke, die über die Schule hinausgehen. Es fehlen außerdem externe Beurteilungsmaßstäbe und objektive Tests trotz immer wieder nachgewiesenen Mängel des Lehrerurteils. Weiters müssen Schüler eine Klasse wiederholen, obwohl sie in manchen Fällen nur einen einzigen Gegenstand nicht positiv abgeschlossen haben. Viele Schüler halten Lernen nur für sinnvoll, wenn es unmittelbar zu Noten führt.
Immer schlechtere Noten trotz steigendem Aufwand: Analysen zur Notengebung während der Schullaufbahn zeigen, dass die Notendurchschnitte aus den Hauptfächern während der Schullaufbahn kontinuierlich schlechter werden. Sie betragen am Ende der Volksschule 2,0, am Ende der Sekundarstufe I bei Burschen 3 und bei Mädchen 2,7 sowie am Ende der Sekundarstufe II bei Burschen 3,3 und bei Mädchen 2,8. In der gleichen zeit steigt aber der durchschnittliche Zeitaufwand für die Schule von ca. 37 Stunden pro Woche (Volksschule) auf 55 bis 60 Stunden (BHS bzw. AHS-Oberstufe).
Selbstverständnis und Tätigkeit der Lehrer: Die derzeitige Situation ist nach Ansicht der Zukunftskommission u.a. charakterisiert durch Schwächen in der Professionalität (ein geringes Repertoire an didaktisch-methodischen Kompetenzen und daraus resultierende monotone Unterrichtsformen, mangelnde Kommunikationskultur, "Einzelkämpfertum" und fehlendes Teamwork an der Schule, Abschottung des Unterrichts gegenüber Einflüssen von außen und zugleich eine nicht entwickelte Tradition und Praxis der Selbstevaluation des Unterrichts), ein die Schulentwicklung behinderndes, wenig leistungsbezogenes Dienstrecht, eine Arbeitsorganisation, die auf eine weit gehend individuell-autonome Arbeitsverrichtung ohne Abstimmung mit anderen abzielt und nicht zuletzt geringe Eingriffsmöglichkeiten von Schulleitung und Schulaufsicht gegenüber Lehrern bei mangelnden beruflichen Leistungen. (APA)