
Wenn man von Gerechtigkeit spricht, ist es gut, über die Verwendung des Begriffs bei Aristoteles Bescheid zu wissen." Birgit Sauer versteht zwar, dass Ideengeschichte bei vielen Politikwissenschaft-Studierenden als "fade Ansammlung toter weißer Männer" gilt. Sie hält aber ein fundiertes Grundwissen für eine unersetzbare Basis, auf der kritische Methoden wie jene der Geschlechterforschung aufbauen können. Denn "alle Theorien, so schwierig sie gedacht sein oder so fremd sie wirken mögen, haben immer einen Bezug zur Gesellschaft, in der sie entstanden sind".
Die politikwissenschaftliche Ausbildung müsse heute beides vermitteln, ist die 46-jährige außerordentliche Uni-Professorin überzeugt: Grundlagen und kritische Blickwinkel, in die auch tagespolitische Themen einfließen können. Mit den Grundlagen konnte sie sich in ihrem eigenen Studium an der deutschen Uni Tübingen aber nur schwer anfreunden: "Ich fand mich mit meinen Interessen im Lehrangebot überhaupt nicht wieder." Denn obwohl man schon das Jahr 1976 schrieb und neue soziale und politische Initiativen bereits deutlich auf sich aufmerksam gemacht hatten, nahm die Politikwissenschaft nur die etablierten Parteien als politische Akteure wahr.
Sauer stürzte sich daher auf das einzige feministische Tutorium und danach ins Frauenstudium an der Freien Uni Berlin. Der Geschlechterforschung treu blieb sie auch nach einer thematisch anders gelagerten Dissertation über politische Symbole der DDR und einer Gastprofessur an der Kon-Kuk-Universität in Südkorea, wo sie Deutsch und Landeskunde unterrichtete. Durch die Zusammenarbeit mit der heutigen Leiterin des Wiener Politikwissenschaft-Instituts, Eva Kreisky, erfuhr Sauer schließlich 1996 von einer freien Stelle in Wien. Worüber sie heute noch froh ist, schließlich liebt sie an Wien besonders das breite Angebot an zeitgenössischer Musik: "Ich nehme mir immer ein Abo im Konzerthaus, damit ich dann auch in stressigen Zeiten wirklich hingehe."