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Die Verhaftung des Oligarchen und Yukos-Chef Michail Chodorkowski hat die russische Finanzwelt in helle Aufregung versetzt

Foto: REUTERS/Alexander Natruskin
Moskau - Die Sicherheitskontrollen sind enorm. Seit der Festnahme von Yukos-Chef Michail Chodorkowski herrscht in der Zentrale des viertgrößten Ölkonzerns der Welt Ausnahmezustand. Durch die Festnahme Samstagfrüh in Nowosibirsk sei man "überrascht" worden, sagte Yukos-Finanzchef Bruce Misamore dem Standard bei einem Lokalaugenschein. "Wir sind aber nicht unvorbereitet getroffen worden."

Die Polizei verhindert auf der Straße, dass Neugierige stehen bleiben. Fotografen werden rüde zurückgewiesen. Innen wachen ein Dutzend Sicherheitsleute darüber, dass niemand unbefugt in die Schaltzentrale des nach der Fusion mit Sibneft größten russischen Ölkonzerns gelangt. Chodorkowski, der Ende der Achtzigerjahre ein Chemiestudium abgeschlossen hat, ist allgegenwärtig im Gebäude. Der ganze Eingangsbereich ist tapeziert mit Postern, auf denen das Konterfei des als US-freundlich bekannten Oligarchen prangt. Bis zu 60 Tage kann Chodorkowski laut russischem Recht vorerst festgehalten werden. Vorgeworfen werden ihm - wie berichtet - räuberische Erpressung, Betrug und Steuerhinterziehung in Höhe von einer Milliarde Dollar. Chodorkowski ist zusammen mit vier anderen in einer Zelle eingesperrt und bekommt keine Sonderbehandlung.

Notfallpläne

In der Konzernzentrale von Yukos im Zentrum von Moskau jagte am Montag hingegen ein Meeting das andere. Schon bei der Verhaftung von Platon Lebedjew, Partner von Chodorkowski, habe man sich auf "das Schlimmste" gefasst gemacht und einen Notfallplan ausgeheckt, damit die Arbeit bei Yukos möglichst normal fortgesetzt werden kann. "Chodorkowski fehlt uns, wir haben aber ein starkes Management, Yukos sollte keinen Schaden nehmen", hofft Misamore.

In erster Linie waren die Führungskader, die in der zweiten und dritten Managementebene eine Reihe von US- Amerikanern umfasst, mit der Beruhigung von Investoren und Analysten beschäftigt. Denn die Aktienmärkte haben die Festnahme von Chodorkowski, der mit einem Privatvermögen von knapp acht Mrd. Dollar als reichster Mann Russlands gilt, mit einem Kurssturz beantwortet. Die Aktie von Yukos rasselte binnen kurzem um fast 20 Prozent nach unten (siehe nebenstehende Geschichte). Auch der Aktienkurs von Sibneft, viertgrößter Mineralölprodu zent Russlands und inzwischen Teil von Yukos, befand sich zeitweise in freiem Fall. Die Verhaftung von Chodorkowski, der sich immer mehr zu einem Gegenspieler von Präsident Wladimir Putin entwickelt hat, wird in Wirtschaftskreisen der russischen Hauptstadt als "politischer Akt" gewertet.

15 Oligarchen

Der 40-jährige Chodorkowski ist einer von 15 Oligarchen, die im Zuge der Privatisierung der russischen Industrie zu Macht und Geld gekommen sind. Putin hat mit den Industriemagnaten ein Stillhalteabkommen geschlossen. Die Industriekapitäne sollten sich von der Politik fern halten, im Gegenzug wollte der Staat die Privatisierungsgeschäfte der Vergangenheit nicht neu aufrollen. "Chodorkowski hat sich nicht an die Absprache gehalten, jetzt geht es ihm an den Kragen", sagte ein mit der politischen Entwicklung vertrauter Russe. (Günther Strobl, DER STANDARD Printausgabe 28.10. 2003)