Mr. Wolfowitz war sehr bleich, als er Sonntag in Bagdad vor die Presse trat. Jeder wäre bleich, wenn ihn mitten im Hauptquartier der eigenen Streitkräfte eine Raketensalve der lokalen Terroristen/Widerständler nur knapp verfehlt hätte. Wolfowitz war schon zum zweiten Mal nach Bagdad gekommen, um die Fortschritte in der Befreiung des Irak von Saddam Hussein zu überprüfen - ein Krieg, dessen geistiger Vater er zu einem guten Teil ist. Es läuft trotzdem alles gut, war seine Kernaussage. Das tut es natürlich nicht. Am selben Tag und am nächsten erschütterten weitere Anschläge die amerikanische Präsenz in Bagdad - auch wenn sich die eine Bombe gegen das Rote Kreuz richtete. Es läuft ganz schlecht, weil Wolfowitz und die anderen zwar ein brillantes Konzept entwarfen - ein freier Irak wird die Situation im ganzen Nahen Osten zum Besseren wenden - und weil zwar der Krieg brillant geplant und durchgeführt wurde, aber nicht der Aufbau des befreiten Irak. Die Amerikaner sind schlicht und einfach nicht Herr der Lage. Der intellektuelle Mr. Wolfowitz und die anderen bis hinauf zum nicht intellektuellen Präsidenten George Bush sind im Irak noch nicht ganz gescheitert, aber viel fehlt nicht mehr. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.10.2003)