"Eine sehr erfreuliche Zusammenarbeit": Nicole Kidman und Lars von Trier bei den Dreharbeiten zum fulminanten ersten Teil der geplanten Trilogie über die USA, "Dogville".

Foto: Polyfilm
Nach drei Aufführungen im Rahmen der Viennale startet Lars von Triers neuer Film "Dogville" nun regulär in den österreichischen Kinos. In zwei Jahren inszeniert der dänische Regisseur den "Ring" in Bayreuth. Anlass genug für einen Besuch und ein Gespräch in den mittlerweile legendären Zentropa-Studios in Kopenhagen.


Kopenhagen - Man stelle sich folgendes Szenario vor: eine ehemalige US-Militärbasis am Stadtrand. Im kleinen Kopenhagener Vorort Hvidovre. Kurz davor eine Abzweigung: "Helsingör 75 km".

Und dann, wenn man durch das große Tor fährt: das Filmbyen-Gelände, das auch die legendären Zentropa-Studios beherbergt. Lang gestreckte Hangars und Werkstätten. Dazwischen: immer wieder kleine Holz- und Eternit-Bungalows. Ein alter Panzer ("Lars hat darauf bestanden, ihn als Spielzeug zu behalten", wird die Assistentin später erzählen), ein Swimmingpool ("wir baden hier immer ohne Badehosen", so noch später der Regisseur) und: eine Kulissenstadt als Nachbildung eines US-Kaffs aus den 30er-Jahren.

Was wird hier gedreht? "Dear Wendy von Thomas Vinterberg", erzählt die Assistentin, "nach einem Drehbuch von Lars." Und wer ist Wendy? "Wendy ist eine Pistole", wird Lars von Trier später sagen, in dem kleinen Bungalow, den er sich direkt neben dem von Vinterberg, ganz am Ende der "Hauptstraße" der Zentropa Studios eingerichtet hat.

Derzeit ist dort unüblich viel Gästeaufkommen angesagt: Es gilt Lars von Triers jüngsten Spielfilm Dogville zu bewerben, Interviews sind dabei (insbesondere für wagemutige Produktionen, die wie Dogville jede Form der Berichterstattung brauchen können) unabdingbar, aber: Lars von Trier leidet, wie mittlerweile jeder Cineast weiß, unter einer Reisephobie und unter Klaustrophobie, und manchmal kann es sogar vorkommen, dass er angesichts von eingeschalteten Mikrofonen in Angstschweiß ausbricht. Also kommen die Journalisten zu ihm, und das ist, wie man sehr schnell sieht, ergiebiger als jedes konventionelle Presse-Junket.

Pfadfinder und Wagner

Über dem Schreibtisch des Regisseurs hängt zum Beispiel ein großes Porträt des Ober-Pfadfinder-Vaters Lord Baden-Powell, was schnell ein Gespräch darüber ergibt, "warum meine Eltern Baden-Powell immer gehasst haben". Unter dem Baden-Powell-Porträt liegt wiederum ein riesiger Stapel mit Partituren von Richard Wagners Ring. Von Trier: "Wagner haben meine Eltern auch immer gehasst."

Also wollte von Trier eine Zeit lang immer Pfadfinder werden ("Ich hab's aber lediglich eine Woche ausprobiert: immer diese Knoten und so!"). Und 2005 inszeniert er den Ring. In Bayreuth. "Aber es stimmt nicht, dass ich noch nie in einer Oper war. Eine ganze Nacht habe ich am Grünen Hügel das Innere des Bayreuther Festspielhauses auf mich wirken lassen und mit Richard Wagner konferiert. Ich sage Ihnen, die werden mich hassen für diesen Ring!"

Wieder einmal verdichtet sich der Eindruck: Man sage Lars von Trier, dass er etwas nicht darf, oder dass etwas nicht geht - und er wird exakt dies versuchen. "Die ärgsten Limits so lange umdrehen, bis sie die größten Freiräume ergeben - das ist unglaublich inspirierend." Siehe zum Beispiel folgende Konstellation: Hier einer der größten weiblichen US-Stars der Gegenwart, Nicole Kidman, und da ein (relativ besehen) Minibudget. Hier eine Hand voll hochkarätiger Schauspieler und dort ein Regisseur, der sie zwingt, jeden Tag die ganze Zeit hinweg am Set, einer alten Fabrikhalle in Schweden, zu bleiben. Zwischen einem Nichts an Kulissen. Dogville.

"Eigentlich habe ich ganz schön viel falsch gemacht bei diesem Film", kommt Lars von Trier, der sich mittlerweile auf seiner Couch hingelegt hat, ins Schwärmen über Fehlleistungen. "Lauren Bacall, wenn die die ganze Zeit sinnlos in der Gegend herumstehen muss, während ich wieder und wieder eine schöne junge Kollegin wie Kidman abfilme - das sorgt echt immer wieder für gute Stimmung! Und ich weiß auch nicht, welcher Teufel mich geritten hat, als ich sagte: Sechs Wochen Drehzeit sind genug . . .!"

Stimmt es, dass auch Nicole Kidman - im Film spielt sie eine junge Frau, die von einer Dorfgemeinschaft zunehmend ausgebeutet, terrorisiert und misshandelt wird - anfangs etwas irritiert war? "Ach, das waren die üblichen Abstimmungsschwierigkeiten", sagt von Trier. "Kein Vergleich mit Björk, die seit Dancer in the Dark nicht mehr mit mir redet. Das letzte und vermutlich auch allerletzte Mal sagte sie was zu mir, als wir gemeinsam auf der Bühne in Cannes standen und vor laufenden TV-Kameras die Goldene Palme entgegennahmen. Wer weiß: Vielleicht brauchen wir in Hinkunft immer ein Millionenpublikum, um miteinander reden zu können."

Von Trier, der Tyrann - das ist ein von den Medien gern und oft strapaziertes Bild. Daher auch die vielfach geäußerte Frage: War es nicht vielleicht doch Kidmans späte Rache, dass sie ihm für weitere zwei Teile der mit Dogville begonnenen Trilogie USA ("wofür die Buchstaben bei mir stehen, erfährt man erst am Schluss") abgesagt hat? "Nein, sie hat wirklich keine Zeit. Und ich habe - auch wegen des Rings - keine Lust, ewig auf sie zu warten. Es ist doch ironisch, dass man als eine der bestverdienenden Unterhaltungskünstlerinnen der Welt offenkundig weniger Freiraum hat als ein kleiner dänischer Filmemacher."

Alles dunkel!

Mittlerweile bereitet Lars von Trier also Manderlay vor, mit einer anderen, vielleicht völlig unbekannten Schaupielerin, die Kidman als Grace nachfolgen soll. Und mit einem überwiegend schwarzen Ensemble. "Das ist meine neue Herausforderung: Wie filmt man jetzt dunkelhäutige Menschen in dunklen Räumen mit einem ähnlich reduzierten (Licht-)Equipment? Aber das sind die Sachen, die mich am Laufen halten."

Und wie geht das mit den berühmten Neurosen und Phobien zusammen? Von Trier räkelt sich auf der Couch, blickt auf ein Rehgeweih an der Wand gegenüber und sagt mit gespielt eiserner Miene: "Dies ist. Das erste Tier. Das ich. Erschossen habe." Häh? "Wie war doch die Frage?" Woher nimmt man dann den Mut? "Ach, da sind wieder meine Eltern schuld daran. Meine Mutter behandelte mich immer wie einen kleinen Prinzen, einen Wunderknaben, der wirklich alles schafft. Und das ziehe ich wahrscheinlich bis heute durch. Eklig, oder?"

Na ja. Leiden Ihre Kinder darunter? "Weiß ich nicht, ich bin jedenfalls ein Vater, der glaubt, dass er besser ist als seine Kids. Aber wenn ich mir meinen einen Sohn ansehe, der mir wirklich sehr ähnelt, denke ich immer: Das dürfte nicht ganz leicht gewesen sein mit mir. Immer dieses leicht verquälte Mit-sich-Ringen!"

Nachher fährt Von Trier den Journalisten und die Assistentin noch mit seinem Auto die "Hauptstraße" hinunter. "Sehen Sie da drüben die Ziegelbauten? Da sollen jetzt Lofts für feine Leute rein, so teuer, dass normale Filmmenschen sich das nie leisten könnten."

Mit heiterer Feldherrenmiene zeigt er auf den Panzer. Dann auf den Swimmingpool. "Wie gesagt, wir tragen hier nie Badehosen ..." (DER STANDARD, Printausgabe, 31.10./1.11./2.11.2003)