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Foto: REUTERS/Michael Dalder
Wien - Der Jahrestag der Pogromnacht erinnert an ein dunkles Kapitel der österreichischen Zeitgeschichte. In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938, die noch immer unter dem beschönigenden Nazi-Ausdruck "Reichskristallnacht" bekannt ist, wurden im gesamten Deutschen Reich Synagogen in Brand gesteckt, etwa 7.000 jüdische Geschäfte zerstört und jüdische Wohnungen verwüstet. Nach offiziellen Angaben wurden 91 Personen getötet. 35.000 Jüdinnen und Juden wurden verhaftet, viele von ihnen sofort in Konzentrationslager deportiert.

"Spontane" Antwort der Bevölkerung

Die NSDAP-Propaganda versuchte, den Pogrom als "spontane" Antwort der Bevölkerung auf den Tod des deutschen Diplomaten Ernst von Rath auszugeben. Dieser war am 7. November 1938 in Paris von einem 17jährigen Juden namens Herschel Grynszpan niedergeschossen worden und starb später. Grynszpan hatte ursprünglich ein Attentat auf den deutschen Botschafter in Paris geplant. Damit wollte er gegen die von der Reichsregierung verfügte Abschiebung tausender Juden nach Polen protestieren, die auch seinen Vater betroffen hatte, der tagelang ohne Hilfe im Niemandsland herumgeirrt war.

Der Beschluss zum Losschlagen wurde am Rande einer Feier zum Gedenken an den Putschversuch von 1923 in München gefasst. ? Die SA soll sich mal austoben? hat Hitler zu Goebbels gesagt. Der ?Startschuss? zum Pogrom wurde dann vom Propagandaminister gegeben.

Die NSDAP wollte nun die angebliche "berechtigte Empörung" des Volkes als Vorwand für die wirtschaftliche Beraubung der Juden nutzen. "Der Zorn der kochenden Volksseele" sollte das Attentat rächen, so wollte es die NS- Propaganda.

"Arbeitsteilung"

Während die SA in Zivil gemeinsam mit Angehörigen der Hitlerjugend und anderen Parteiorganisationen jüdische Geschäfte und Wohnungen plünderten und zerstörten, ging die SS, ebenfalls in Zivilkleidung, gezielt gegen Funktionäre jüdischer Organisationen vor. In Wien wurden 42 Synagogen und Bethäuser meist durch Brände zerstört. 27 Juden wurden getötet und 88 schwer verletzt. 6.547 Juden wurden in Wien verhaftet, fast 4000 von ihnen wurden ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. Tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört. 4.083 jüdische Geschäfte wurden gesperrt. Allein im "Kreis Wien I" wurden 1.950 Wohnungen zwangsgeräumt. Hunderte Jüdinnen und Juden begingen Selbstmord.

Übergriffe und Auschreitungen in den Bundesländern

In Niederösterreich kam es zur Sprengung von Synagogen und Massenfestnahmen. Tempel in Berndorf, in Vöslau und in Baden fielen dem Pogrom zum Opfer. In Baden wurden alle Jüdinnen und Juden verhaftet, in St. Pölten gab es 137 Festnahmen.

In Salzburg-Stadt wurden sieben noch nicht arisierte Geschäfte aufgebrochen und verwüstet. Akten aus der Kultusgemeinde wurden weggeschafft. Auch die Synagoge wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen. In der Stadt werden 41 Juden verhaftet, 70 in ganz Salzburg.

In Oberösterreich leben in den Wochen vor dem Novemberpogrom noch rund 650 Jüdinnen und Juden. Ein Zehntel von ihnen wurde bereits am 8. November festgenommen. In Linz steckten SA-Männer und SS-Angehörige die Synagoge in Brand.

In der Steiermark in Graz wurde in der Nacht zum 10. November die Synagoge am Grieskai niedergebrannt. Die Inneneinrichtung war bereits zuvor zerstört worden.

In Kärnten wurde der jüdische Tempel in Klagenfurt völlig zerstört. Der Mob wandte sich vor allem gegen Wohnungen der jüdischen Mitbürger, da die Geschäfte bereits vorher "arisiert" worden waren. 40 Jüdinnen und Juden werden verhaftet und nach Dachau deportiert.

In Tirol konzentrierte sich der Terror auf Innsbruck. Vier von den 136 Innsbrucker Jüdinnen und Juden wurden ermordet.

Im Burgenland wurde vor allem die Synagoge in Eisenstadt zerstört. (miS/apa)