Moskau/Berlin - Russland fürchtet nach Angaben der Notenbank nach der Yukos-Affäre im zweiten Halbjahr eine massive Kapitalflucht und damit eine Umkehr des Trends der ersten sechs Monate. Der stellvertretende russischen Notenbank-Gouverneur Oleg Wjugin sagte der Zeitung "Financial Times" (Samstagsausgabe), er rechne für die zweite Jahreshälfte 2003 mit einem Abfluss privaten Kapitals von mehr als 13 Milliarden Dollar (11,38 Mrd. Euro) nach Kapitalzuflüssen über 4,6 Milliarden Dollar in den ersten sechs Monaten dieses Jahres.

Keine eindeutige Verbindung

"Die erste und die zweite Jahreshälfte hätten nicht unterschiedlicher sein können", sagte Wjugin. Er könne aber die befürchtete Kapitalflucht nicht eindeutig mit der Festnahme des ehemaligen Yokus-Chefs Michail Chodorkowski in Verbindung bringen. Im dritten Quartal sei privates Kapital im Volumen von 7,7 Milliarden Dollar aus Russland abgeflossen. Die Notenbank schätze den Kapitalabfluss für das Gesamtjahr auf 8,6 Milliarden Dollar.

"Keine Vertrauenskrise"

Keine Vertrauenskrise in Russland sieht der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Klaus Mangold. "Bleibt es beim Einzelfall, sehe ich keine grundsätzliche Vertrauenskrise", sagte Mangold der "Welt am Sonntag" nach einem Vorabbericht. "Der Fall Yukos ist nicht zu generalisieren. Er stellt keine Trendwende bei der Privatisierungspolitik der Regierung dar und ist auch keine Trendwende im bisherigen Umgang mit Auslandsinvestitionen." Die russische Regierung sei um Schadensbegrenzung bemüht, sagte der Chef der DaimlerChrysler Services. Seiner Einschätzung nach warten deutsche Firmen nun ab, ob sich ein solcher Fall wiederholt. Er warnte Russland vor weiteren Schritten und forderte schnelle Klärung: "Bei weiteren Fällen würde ich allerdings (...) die Grundsatzfrage stellen, ob sich deutsche Unternehmen noch in dem bisherigen Ausmaß engagieren werden."

Kein Einzelfall

Der Vorsitzende der liberalen Jabloko-Partei, Grigori Jawlinsi, betonte in "Die Welt" jedoch, dass dieses Vorgehen eben keinen Einzelfall darstelle: So etwas geschehe mit Tausenden Unternehmern im gesamten Lande. Seiner Meinung nach hat mittlerweile eine totale Verschmelzung von Macht und Geschäft stattgefunden. Präsident Wladimir "Putin hat nichts gegen Demokratie, sie ist ihm gleichgültig. Putin ist ein Anhänger des Obrigkeitsstaates aus Überzeugung. Das bestimmt die Rangfolge seiner Aufgaben: Armee, Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts, Kampf gegen Armut. Demokratie gehört nicht zu seinen Prioritäten", sagte Jawlinski.

Chodorkowski gilt als reichster Mann Russlands

Die russische Justiz hatte Chodorkowski Ende Oktober in einer spektakulären Aktion festgenommen und einen Teil der Yukos-Aktien konfisziert. Chodorkowski wird Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe vorgeworfen. Er gilt als reichster Mann Russlands, unterstützt innenpolitische Gegner von Präsident Wladimir Putin und hat eigene politische Ambitionen signalisiert. Das Vorgehen der Justiz wurde als Teil eines politischen Machtkampfs zwischen den "Oligarchen" genannten Wirtschaftsspitzen und ehemaligen Mitarbeitern russischer Geheimdienste um Putin interpretiert. Das Vorgehen im Yukos-Fall hatte an den Märkten Ängste vor einem Ende der Privatisierungspolitik und Panikverkäufe ausgelöst. (APA/Reuters)