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++PRO Von Samo Kobenter

Einer meiner Schulkameraden - er war, der Wahrheit sei's geklagt, blöd wie Brot - ist tatsächlich Politiker geworden. Die Wahl der Partei, der er sein umtriebiges Wirken widmet, tut nur insofern etwas zu Sache, als sie sich den Fleißigen und Anständigen verpflichtet fühlt. Jedenfalls wurde der gute Mann eines Sonntages dabei beobachtet, dass er tat, wie bis auf meinen Kollegen Conrad fast jeder: nämlich den stummen Zeitungsverkäufer als solchen zu behandeln und ihm einige Blätter abzunehmen. Blöderweise wurde er angezeigt - es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es einem fleißigen Anständigen nicht gefällt.

Der Prozess wurde unter lebhafter Anteilnahme der feinen Gesellschaft des Städtchens abgehandelt und endete mit einem Freispruch, was die einen mit Erleichterung, die anderen mit Kopfschütteln quittierten. Das Lob einer maßvollen, lebensnahen Justiz prallte unversöhnlich auf die Forderung, ein Politiker habe das Vorbild zu sein, das wir selber nicht mehr zu geben im Stande sind. Inzwischen wollten manche den Vater des Freigesprochenen beobachtet haben, wie er mit grimmiger Miene die Kassen der Zeitungsständer seiner Wohnumgebung mit Kleingeld fütterte, ohne sich zu bedienen. Selten sind tätige Reue und Sippenhaft eine schönere Verbindung eingegangen.

Was lernen wir daraus? Nichts. Außer, dass man kein Politiker oder blöd sein muss, um für seine Sonntagszeitung nichts zu zahlen. Und dass der Unterhaltungswert unserer kleinen Sünden beträchtlich steigt, wenn wir sie unter einem Anstandsmäntelchen verbergen, dessen Transparenz das Tragen in der Öffentlichkeit verbietet.

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--CONTRA
von Conrad Seidl

Letzten Samstag, an der U-Bahnstation Nollendorfplatz, funktionierte der Fahrscheinautomat nicht. Ich musste ans andere Ende des Bahnsteigs und ein paar Stufen hinuntergehen, um dann doch ein Ticket erstehen zu können. Weil ich aus Prinzip nicht schwarz fahre. Wie ich mich auch bemühe, korrekte Steuererklärungen abzugehen. Überhaupt halte ich mich weitestgehend an die Gesetze. Ja, okay, ab und zu gehe ich bei Rot über die Kreuzung. Aber ich gehe nicht in Buchhandlungen, um Bücher zu stehlen - auch wenn ich berufsbedingt gerne und viel lese. Ich stehle ja auch nicht im Supermarkt, weil ich gerade Appetit habe. Wenn an einer Supermarktkasse eine Zeitung angeboten wird: Würde ich sie einstecken, ohne zu bezahlen? Nein, natürlich nicht - die Verkäuferin würde wohl einen ordentlichen Wirbel machen, wenn unter ihren Augen Ware eingesteckt und nicht bezahlt wird.

Stumme Verkäufer, wie die Verkaufsständer mit Geldeinwurf früher genannt wurden, können kein Gezeter anstimmen, wenn jemand nicht bezahlt. Aber Verkäufer sind sie eben doch - und die Ware, die sie ausgeben, muss aus Prinzip gezahlt werden. Auch wenn sie gelegentlich ihr Geld nicht wert sein mag - aber das gilt schließlich für Bücher oder das Service in den Öffis ebenfalls: Kauf es - oder lass es sein. Wenn der Preis nicht passt, kann ich mich beschweren, kann Rückzahlungen verlangen oder Preisnachlässe - habe ich aber bei einer Sonntagszeitung noch nie probiert. Sondern mir am folgenden Sonntag gedacht, das jeweilige Blatt könne mir gestohlen bleiben; da brauch ich es auch selbst nicht zu stehlen. (Der Standard/rondo/14/11/2003)