Art und Ausmaß der Trauer, die Italien gegenwärtig für seine umgekommenen Söhne zelebriert, mag selbst einige Italiener überrascht haben: Seit eine Autobombe vergangene Woche das Hauptquartier der Carabinieri in Nasiriya zerstörte, hat es kaum kritische Stimmen zur italienischen Militärpräsenz im Irak gegeben. Die römische Opposition hat sich genauso in ein Delirium aus Nationalgefühl und Seelenschmerz ergeben wie die wenigen unabhängigen Zeitungen, die Ministerpräsident Silvio Berlusconi noch nicht auf Linie gebracht hat.

Zu erklären mag das mit einem Bedürfnis an Einigkeit sein, das in dem seit Jahren zutiefst gespaltenen Land beinahe mit Händen zu greifen ist. Vor allem Uniformierte sind in Italien hoch geachtet, weil sie in einem über Jahrzehnte politisch gebeutelten Staat immer für Kontinuität gestanden sind. Die beispiellose Reaktion auf den Tod der Soldaten mag auch konform gehen mit jener angeblich neuen Weltgeltung Italiens, die Berlusconi seinen Landsleuten seit seinem Regierungsantritt einreden will. So gehen selbst noch so verstiegene Vergleiche mit den Weltkriegs-Blutbädern am Piave und in El Alamein durch, ohne dass sich ein kühler Kopf zu Wort meldete.

Jedem großen Sentiment allerdings folgt eine noch größere Ernüchterung. "Ihr seid an allem schuld" - dieser Vorwurf, den eine alte Dame Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi und Berlusconi schon bei der Totenmesse machte, wird nach angemessener Trauerzeit öfter zu hören sein. Erst recht, wenn wieder Italiener in einem Krieg umkommen, den eine große Mehrheit der Bürger nicht gewollt hat. Für Berlusconi wird es dann nicht mehr reichen, sich öffentlichkeitswirksam die Tränen für die Toten aus den Augen zu wischen. Dann wird er Rechenschaft ablegen müssen für den Blutzoll, den Italien im Irak zahlt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.11.2003)