Die Universitäten Österreichs - sagt man - sind in der Krise: ausgedörrt und eingeschrumpft, überfüllt und unterfinanziert, zwar mit breitem Fächerspektrum, aber mit schmalen Ergebnissen; bevölkert von mittelmäßigen Studentinnen und Studenten, verwaltet von einem überalterten Lehrkörper, bürokratisch statt serviceorientiert, rückwärts gewandt statt zukunftsweisend, verrottet (Peter Glotz), (vielleicht) nicht mehr zu retten (Michael Daxner), kaputt! Amen!

So, jetzt habe ich die weithin übliche Ist-Stand- Universitätsqualitäts-bejammerungslitanei - natürlich unvollständig - heruntergebetet! Jetzt kann ich mich der universitären Zukunft widmen. Und die lautet, wie wir alle - intensiv PR-behandelt - längst wissen: "Weltklasseuniversität", Mitspielen in der ersten Liga!

Wie kommen wir dahin? Ganz einfach: Durch Reformen - Organisationsreform, Strukturreform, Studienplanreform, Verwaltungsreform, Reform des Finanzwesens, Reform der Verwaltungsabläufe, Reform des Lehrkörpers, Reform der Studierenden, Reform von ..., Reform der ..., Reform ... Die Parole heißt: Per aspera ad astra! Durch die Nacht zum Licht! Besser wäre noch: Aus der Nacht zum Licht! - Das ist simpel, verständlich, eindeutig. Das leuchtet ein.

"Besitzstandwahrer"?

Wer wollte da nicht mit von der Partie sein? Wer Bedenken äußert, der wird sehr rasch zum "Finsterling", zum Reformverweigerer, zum Traditionalisten - oder gar zu einem jener "Besitzstandwahrer", wie man sie nach Auffassung unseres Bundeskanzlers landauf, landab finden kann: Liessmann hat über diese Frage vergangenen Freitag im STANDARD einen kritisch-schönen Kommentar ("Der Besitz und sein Stand", 14. 11.) geschrieben. Irgendwelche Besitzstände habe ich nicht zu wahren. Aber "ein bisschen Bewahrung" würde ich schon gutheißen, wenigstens ein bisschen inneruniversitäre Demokratie und Mitbestimmung, ein bisschen mehr Subsidiarität, ein bisschen mehr an ernster und sachlicher Analyse, ein bisschen mehr auch an - Humboldt.

Ich bin da irgendwie konservativ, konservierend, bewahrend ...

Dunkle Gegenwart, ...

Auch gegen das manichäische Grundmuster: dunkle Gegenwart - strahlende Zukunft habe ich meine Vorbehalte. Die Universität Wien kann sich mit ihren über 4.000 Forschungsprojekten, die die inzwischen eingegangene Forschungsdatenbank vor einigen Jahren verzeichnet hat, ebenso sehen lassen wie mit ihrem Lehrangebot von etwa 10.000 Stunden pro Semester. Zudem gibt es doch recht kluge Köpfe an dieser Universität!

Als Kronzeugen für meine positive Einschätzung der Universität (Wien) rufe ich auf: Konrad Paul Liessmann auf, der nun freilich all das verkörpert, was man an der derzeitigen Universitätssituation beklagen und bejammern kann:

Er ist Philosoph: Wer braucht das noch? Ist nicht die Philosophie so unnötig wie die Orientalistik, deren Nutzlosigkeit unser Finanzminister öffentlich betont hat.

Er ist Angehöriger des Instituts für Philosophie: Wissen nicht alle, dass dieses Institut immer wieder mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und hat?

Er ist - genauso genommen - Angehöriger des "Mittelbaus": Ist das nicht jene Gruppe, die in der Gruppenuniversität Entscheidungen verhindert und nur auf eigenen Vorteil hin gearbeitet hat?

Er ist 50 Jahre alt: Sind das nicht jene Leute, die die Universität "verstopfen", den Nachwuchs verhindern und längst in die Frühpension geschickt werden müssen?

Er ist Mann: Auch das würde dafür sprechen, ihn in Frühpension zu schicken - doch das Thema lasse ich lieber, ich will nicht "politisch unkorrekt" sein,

Dieser nun schon nicht mehr ganz junge Altmittelbauer und Philosoph Liessmann hat zweifellos einiges geleistet, lässt auch noch einiges erwarten. Jedenfalls würde ich ihn nicht in die Frührente schicken! (...)

Im Jahre 1995 gab es bei der Jahresversammlung der deutschen Hochschulrektorenkonferenz eine Diskussion unter dem Titel: "Zu wenig Neues aus der Denkfabrik?". Peter Glotz meinte damals: Die Universitäten müssten Zukunftswerkstätten sein, eine Plattform für die grundlegenden Debatten über den Weg unserer Gesellschaft, sozusagen Forum der Nation. (...) Heute spielt die Universität bei den großen Diskussionen dieser Gesellschaft nicht die Rolle, die sie einmal gespielt hat und die sei spielen müsste ...

Dem hielt Bernd Rebe (Präsident der Technischen Universität Braunschweig) in der Debatte entgegen: Wenn man den Gesamtstrom des Innovationspotenzials sieht, so kommt heute ungleich mehr aus den Universitäten im Verhältnis zu den außeruniversitären Anregungen, als das in den letzten Jahrhunderten der Fall war. Nur: es ist nicht mehr so im einzelnen greifbar.

... strahlende Zukunft?

Ich stelle mich natürlich spontan an die Seite von Herrn Rebe. Aber so ganz Unrecht hat Peter Glotz auch nicht. Es gibt sicher ein Transferproblem. Für Hans Ulrich Gumbrecht hat dieses Transferproblem aber doch ein inhaltliches Substrat: Ich glaube, einer der Gründe, warum die Kommunikation zwischen Universitäten und der Öffentlichkeit in diesem und vielleicht nicht nur in diesem Land nicht zum besten bestellt ist, hat damit zu tun, dass die Meinungen, die aus der Universität kommen, zu wenig exzentrisch sind, dass die Forschung, die getrieben wird, zu wenig exzentrisch ist.

Das geht an die Substanz. Gumbrecht unterstellt - wohl mit Recht - der universitären Wissenschaft, sie sei langweilig, nicht pointiert, nicht interessant genug; es gehe um die Freiheit, exzentrisch zu sein.

Die geforderte Exzentrik hat mit dem zu tun, was Otto Gerhard Oexle einmal die notwendige Ent-Disziplinierung der Kulturwissenschaften genannt hat (Anmerkung: An der Universität organisieren wir uns gerade wieder entlang der Grenzen der Disziplinen. Das ist natürlich auch "Fortschritt" und Reform!?)

Für mich verkörpert Liessmann den geforderten Entdisziplinierer und Exzentriker universitärer Forschung. Er ist für mich derjenige, der das, was wir an der Universität tun, greifbar macht, d.h. derjenige, der als entdisziplinierender Exzentriker das Transferproblem zu lösen vermag ... (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.11.2003)