Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder hat auf dem SPD-Parteitag bekommen, was er wollte: eine fast einhellige Zustimmung zu seiner Reformpolitik. Die Kritiker seiner Agenda 2010 haben auch bekommen, was sie wollten: Sie konnten teilweise signifikante Änderungen durchsetzen. Überdies ist Schröder sauer, weil die Basis seinem Generalsekretär Olaf Scholz und seinem Vize Wolfgang Clement - und damit auch ihm - ein Wahldebakel beschert hat. Die Linken sind wiederum sauer, weil eine der profiliertesten Kritikerinnen von Schröders Reformen, die Abgeordnete Sigrid Skarpelis-Sperk, nicht mehr in den Parteivorstand gewählt worden ist. Die Reformkritiker gehen aber nicht so weit, die regierende Koalition ernsthaft zu gefährden, während sich wiederum Regierung und Parteispitze bemühen, auf die Kritiker zuzugehen.

Nicht nur der SPD-Parteitag hat ein diffuses Bild geboten, auch die Reformpolitik gleicht einem Puzzle. Die Botschaft, dass sich etwas ändern muss in Deutschland, ist in- und außerhalb der Bundesrepublik schon angekommen. Doch was in welchem Ausmaß und mit welchem Ziel geändert werden soll, ist nicht klar. Es fehlt der rote Faden, zumal sich die Maßnahmen zum Teil widersprechen.

Am Beispiel der Finanzpolitik zeigt sich dies sehr deutlich: Um die Gesundheitsreform finanzieren zu können, hat die Regierung die Tabaksteuer erhöht. Außerdem wurde die Ökosteuer erneut angehoben, Mehrbelastungen für Kapitalgesellschaften wurden beschlossen. Andererseits sollen nach dem Willen von Rot-Grün die Entlastungen bei der Lohn- und Einkommenssteuer auf 2004 vorgezogen werden, damit die Konsumausgaben angekurbelt werden. Gleichzeitig hat diese Koalition die ersten Pensionskürzungen in der Geschichte sowie beträchtliche Selbstbehalte für Kranke beschlossen und will Steuervergünstigungen wie die Pendlerpauschale streichen.

Finanzminister Hans Eichel versichert zudem, dass sich Deutschland an den Stabilitätspakt halten will, er weigert sich aber, Auflagen wegen Verstößen gegen ihn zu akzeptieren. Das passt alles nicht zusammen. Es ist kein Wunder, dass Brüssel nun von Berlin Klarheit über den Kurs haben will. Das wollen auch die Genossen, die Bürger, die Unternehmen, das Ausland, das von der größten Volkswirtschaft Europas abhängig ist. Die einzige Antwort, die Schröder auf dem SPD-Parteitag geboten hat, war, dass sich Deutschland am Beginn eines schwierigen Reformprozesses befinde. Wo dieser endet, sagte er nicht.

Aber wenn der deutsche Bundeskanzler selbst nicht weiß, wohin die Reise geht, wie soll er dann andere von der Notwendigkeit, diesen Weg zu gehen, überzeugen? In dieser Situation zeigt sich einmal mehr, dass Schröder kein Politiker mit Weitblick oder gar Visionen ist, sondern einer, der spontan handelt, auch auf Basis von Meinungsumfragen. Solange der Kurs aber nicht klar ist, wird sich auch nicht das nötige Vertrauen einstellen, damit es für die SPD und im Land wieder aufwärts geht. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.11.2003)