Dieser Tage ist ein hochrangiges Mitglied der Zivilverwaltung im Irak, ein Italiener, von seinem Posten zurückgetreten. Begründung: Die vom US-Statthalter Paul Bremer geführte Behörde hätte keinen Respekt vor der irakischen Gesellschaft und verstünde es nicht, mit fremden Kulturen umzugehen. Hier läge einer der Gründe für den wachsenden Widerstand gegen die Besatzung. Das passt zu dem Befund einiger einsichtiger US-Militärexperten, künftig brauche man - in den USA wie in Europa - nicht nur ausgebildete Soldaten, sondern ausgebildete Friedenserhalter und Gesellschaftsarchitekten. "Extreme Peacekeeping" nennt man so etwas.

Traditionelle Militärs mögen das nicht. Präsident Bush auch nicht. Im letzten Wahlkampf hat er seinem demokratischen Gegner Al Gore unter anderem vorgeworfen, dieser nenne Militär und "nation building" in einem Atemzug. Das ginge nicht an, die Aufgabe der Armee sei einzig und allein, Kriege zu führen und zu gewinnen. Ein wenig Verachtung klingt da durch: Gesellschaftliche Aufgaben sind etwas für intellektuelle Weicheier, womöglich mit Linksdrall. Soldaten sollen dreinschlagen und fertig. Das Resultat dieser Haltung sieht man jetzt im Irak, wo die US-Armee zwar den Krieg gewonnen hat, aber drauf und dran ist, den Frieden zu verlieren.

Offensichtlich regt sich nun auch innerhalb der Streitkräfte Widerspruch gegen diese allzu simple Einstellung. Kein Geringerer als Ex-Stabschef General John Shalikashvili macht sich darüber lustig. Er hat einst vergeblich versucht, in der Militärakademie eine Abteilung für Friedenserhaltung einzurichten. Das Pentagon war dagegen. "Sie sollten ein Schild vor die Tür hängen: Richtige Männer machen kein Peacekeeping", spottet der General. Das Time Magazine berichtet von einer ganzen Reihe von Irak-Einsätzen, bei denen auch den beteiligten Offizieren und Soldaten Zweifel an ihren Methoden gekommen waren. Wenn man auf der Suche nach Terroristen die Türen von Wohnhäusern und Moscheen eintrete, die Anwesenden unter Gebrüll mit vorgehaltener Maschinenpistole durchsuche, auf Frauen keine Rücksicht nehme und noch weniger auf das empfindliche Ehrgefühl ihrer muslimischen Ehemänner, dann dürfe man sich nicht wundern, wenn die Einheimischen nicht dankbar sind, wird ein Kommandant zitiert. Die Briten gingen da sensibler vor. Wie immer das Irak-Abenteuer ausgeht - Einsätze in fremden Ländern und fremden Kulturen werden in Zukunft für Amerikaner wie Europäer mehr und mehr zum Alltag werden, nicht nur für Militärs, sondern auch für UN-und NGO-Mitarbeiter, Geschäftsleute. Sie alle brauchen dringend einschlägige Ausbildungen.

Österreichische Soldaten, die im Ausland Dienst tun, müssen mehrwöchige Kurse durchlaufen, sagt das Verteidigungsministerium. Diese umfassen allgemeine Verhaltensregeln, aber auch spezifische Informationen über Land und Leute im Einsatzgebiet. Soldaten aus Zuwandererfamilien, die die Landessprache beherrschen, sind dabei eine wertvolle Hilfe. Und auch andere Institutionen haben den Zug der Zeit erkannt. Die Universität Krems bietet für alle Interessierten seit neuestem einen "interkulturellen Lehrgang" an.

Die Supermacht USA hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, in der arabischen Welt die Demokratie durchzusetzen und damit den Krieg gegen den Terror zu gewinnen. Gute Idee. Aber, so meinen immer mehr Bürger, das geht nur, wenn sie auch ihrerseits lernen, Respekt vor fremden Kulturen zu haben. Derzeit sind laut einem Test der Zeitschrift National Geographic 85 Prozent der jungen Erwachsenen nicht imstande, den Irak auf einer Landkarte zu finden . . . (DER STANDARD, Printausgabe, 24.11.2003)