Boris Gryslow ist in diesen Tagen ein viel beschäftigter Mann. Schenkt man dem russischen Staatsfernsehen Glauben, kommt im Riesenreich derzeit kaum eine Fabrikeröffnung, Kosakenfeier oder Prominentenehrung ohne den Innenminister im Zwangsurlaub aus. Mag das Ereignis noch so unbedeutend sein, das Staatsfernsehen bringt Gryslows markanten Schnurrbart in den Nachrichten unter. Denn es herrscht Wahlkampf im Land, und Gryslow ist Vorsitzender der Kreml- nahen Partei Geeintes Russland.

Kein Sender mehr von Staat unabhängig

Im Finale vor den Parlamentswahlen am 7. Dezember sieht der Bürger jeden Abend im Fernsehen, wohin die von Präsident Wladimir Putin praktizierte "Politik der gelenkten Demokratie" die russischen Medien geführt hat. Keiner der landesweit zu empfangenden TV-Sender ist mehr vom Staat unabhängig. Das wichtigste Propaganda-Medium aus Sowjetzeiten liegt wieder streng auf Kreml-Linie. Leidtragende sind vor allem die Kommunisten, die einst selbst die Meinungsfreiheit verhinderten und nun als schärfster Konkurrent bei der Parlamentswahl Zielscheibe des Kremls sind.

In diesem Wahlkampf laufen die Abendnachrichten im Staatskanal Rossija und auch im halbstaatlichen Kanal ORT nach dem gleichen Schema ab. Zuerst darf sich Gryslow bei einem Provinzereignis zu Wort melden. Danach werden die Kommunisten kritisiert für das Hissen einer Sowjetflagge auf dem Dach der Duma, angeblich gefälschte Vermögensangaben einzelner Kandidaten oder aber für Kontakte zu dem beim Kreml in Ungnade gefallenen Unternehmer Boris Beresowski.

Selbst dem Europarat ist aufgefallen, dass im Mitgliedsland Russland in Sachen Medienfreiheit und Wahlkampf einiges im Argen liegt. Alle drei landesweiten TV-Sender berichteten sehr parteiisch zu Gunsten der Regierung, hieß es Ende Oktober in Straßburg.

Nur die überwiegend im Besitz von Wirtschaftsoligarchen befindlichen Zeitungen erlauben sich mitunter eine eigene Sicht der Dinge. Doch die Kritik bleibt von den meisten Russen ungelesen. Zu gering sind die Auflagen angesehener Zeitungen wie "Kommersant" (110.000 Exemplare), "Nesawissimaja Gaseta" (40.000) oder "Wedomosti" (60.000), die beinahe ausschließlich in Moskau vertrieben werden. In den Weiten Russlands ist und bleibt das dem Kreml treu ergebene Fernsehen das wichtigste Informationsmedium. (APA/red/dpa)