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Blick ins japanische Kernfusion- Forschungszentrum Naka

Foto: APA/dpa
Brüssel/London/Wien - Die Europäische Union geht mit dem südfranzösischen Cadarache in den Wettbewerb um den Standort für den weltweit größten Versuchsreaktor zur Erprobung einer Kernfusion. Die nahe Marseille gelegene Stadt setzte sich bei der Bewerbung um das zehn Milliarden Euro teure Projekt gegen den spanischen Konkurrenten Vandellos durch. Spanien hatte seine Bewerbung zuletzt zurückgezogen und damit ein einstimmiges Votum für den Kandidaten Cadarache im Brüsseler EU-Ministerrat nun ermöglicht.

Die EU konkurriert damit mit Japan (Standort Rokkasho) um das auf 30 Jahre angelegte Forschungsprojekt für den Internationalen Thermonuklearen Experimentalreaktor (ITER). Kanada, bisheriger Mitbewerber, soll laut dem britischen Fachblatt Nature wegen politischer und finanzieller Schwierigkeiten aus dem Rennen sein. Mit dem Projekt soll eine mögliche Alternative zur Kernspaltung als Energiequelle experimentell erprobt werden - bei der Kernfusion entstehen keine gefährlichen Abfallprodukte. Die ITER-Partner EU, Japan, Russland, Kanada, China, Südkorea und USA wollen den Standort kommenden Monat definitiv festlegen. Das Projekt soll - neben dem wissenschaftlichen Output - dem ausführenden Land Tausende Arbeitsplätze und gigantische Investitionen bescheren.

Kernfusion ist die Energiequelle der Sonne. Ihr Ursprung liegt im Sonneninneren, wo im Zuge der stellaren Selbstverbrennung Wasserstoffisotope miteinander verschmelzen, enorme Mengen an Fusionsenergie freisetzen - zum Vergleich: Die Fusion von nur einem Gramm Wasserstoff setzt so viel Energie frei, wie bei der Verbrennung von 9000 Litern Erdöl entsteht.

Was dieses extrem leistungsfähige extraterrestrische Kraftwerk besonders faszinierend macht, ist sein Antrieb mit einer - auch für irdische Verhältnisse - schier unerschöpflichen Ressource: dem Wasserstoff. Und die bedeutendsten irdischen Energieträger Erdöl und Erdgas werden bald verbraucht sein.

Doch für die kommerzielle Nutzung der Fusionsenergie sind noch einige Hürden zu nehmen. Die bei den Fusionsreaktionen entstehenden schnellen Neutronen treffen in einem Reaktor direkt auf die Wand und stellen so eine starke Belastung für die Wandmaterialien dar. Diese Fusionsreaktion stellt sich unter Reaktorbedingungen bei einer Temperatur von mehr als 100 Millionen Grad Celsius ein. Da kein Material der Welt diesen Temperaturen standhält, wird das bis zum Plasmazustand erhitzte Wasserstoffgas in einem Magnetfeld eingesperrt. Doch das ultrahocherhitzte Plasma lässt sich selbst durch noch so starke Magnetfelder nicht hundertprozentig einsperren. Entsprechende Schutzschilde für die Reaktorwände sind also nötig. Und bisher musste man auch zur Erreichung dieser Temperaturen mehr Energie in die Versuchsreaktoren hineinstecken, als man herausbekam.

Forscher gehen nach jüngsten Studien und Simulationen - einige wurden auch in Österreich durchgeführt, in Seibersdorf und an der Uni Innsbruck - davon aus, dass mit dem Fusionstyp ITER diese Probleme behoben sind. Er soll als erster Fusionsreaktor Netto-Energie liefern, zumindest für einige Minuten mehr Leistung freisetzen, als zuvor investiert wurde. Man will beweisen, dass es physikalisch und technisch möglich ist, durch Kernverschmelzung sichere und saubere Energie zu gewinnen. (fei/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29./30. 11. 2003)