Liebe versammelte Trauergemeinde, es heißt Abschied nehmen von lieb gewordenen nationalen Marotten, die dem europäischen Einigungswillen im Weg stehen. Der österreichische Transitvertrag: Es gibt ihn bald nicht mehr.

Das wäre weiters nicht überraschend, denn spätestens seit Österreich seinen Beitritt zur EU ausgehandelt hat, stand die Ablauffrist der Ökopunkte mit dem Schlag der Pummerin zu Neujahr 2004 fest. Aber wie so oft, wenn einem was ans Herz gewachsen ist, wird die Realität gerne verdrängt. Der Transitvertrag, die Ökopunkte: quasi bereits ungeschriebene Verfassung, Prädikat immer während.

Nun gibt es tatsächlich ein sehr reales Problem: Der überbordende Verkehr auf unseren Straßen, mit dem wir leben müssen - indem wir ihn lenken, beschränken, schadstoffärmer machen, wo es geht auf die Schiene bringen (obwohl eine stark befahrene Zugtrasse neben dem Fenster ungefähr so erfreulich ist wie die Wiener Südosttangente).

Aber es hat nicht erst die EU den Verkehr erfunden und nach Österreich gebracht. Was gerne ignoriert wird: Nur etwas mehr als zehn Prozent der Lkw auf heimischen Straßen kommen nicht aus Österreich, sondern aus unseren Nachbarländern. Österreichs Lkw-Flotte ist im Schnitt älter und damit für Mensch und Umwelt belastender als die meisten ausländischen Lkw. Österreich ist ein Exportland, das seinerseits in anderen Ländern für Transit sorgt. Und Österreich ist einer der Hauptnutznießer der Osterweiterung, die uns aber auch in den nächsten Jahren einen weiteren Transitzuwachs bescheren wird.

Dazu kommt, dass die österreichischen Regierungen seit den Neunzigerjahren die durch den Transitvertrag ausgehandelte Frist praktisch ungenützt verstreichen ließen. Der Bahnausbau, der zur Entlastung der Straße führen sollte, existiert bestenfalls als Blaupause, der Bau des Brennertunnels bleibt in weiter Ferne; und Frächter genießen auch in Österreich Artenschutz. Die Regierungen haben in all den Jahren nichts vorgelegt, aus dem hervorgeht, was sie eigentlich wirklich erreichen wollen. Außer: alles beim Alten zu lassen, also den Vertrag ad infinitum fortzuschreiben, was von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.

Statt also klipp und klar ein Ziel für die Zeit nach dem Vertrag zu formulieren und dafür in der EU Unterstützung zu suchen, betrieb die Regierung eine reine Verzögerungstaktik, für die ihr nun die Rechnung präsentiert wird. Ein entschiedener Ausbau unserer Bahn hätte den EU-Nachbarn demonstriert, dass wir es ernst meinen mit ökologischen Vorbehalten; eine nachdrückliche EU-Politik zur Durchsetzung der Wegekostenrichtlinie (die durch entsprechende Straßenmauten Verkehrsflüsse steuern könnte) hätte eine glaubwürdige Strategie abgegeben. Stattdessen wechselten in rascher Folge die Verkehrsminister, und gelegentlich wachelte der Kanzler mit einem Veto zur Osterweiterung, was in Anbetracht einer wirren Gesamttaktik niemand ernst nahm.

So recht froh kann aber in der EU niemand über dieses Eigentor der Österreicher sein. Nationale Sensibilitäten, von denen jedes der EU-Länder ein gerüttelt Maß voll hat, im 14:1-Verfahren niederzustimmen tut der Union nicht gut. Auch die EU hat ihre Schuldigkeit - die Wegekostenrichtlinie - bis heute nicht erbracht. Und erst am Tag davor haben die Defizitsünder Frankreich und Deutschland den Stabilitätspakt de facto außer Kraft gesetzt: In der Sache gibt es da zwar keinen Zusammenhang mit dem Transitvertrag, im Empfinden aber sehr wohl.

Für Österreich, vor allem für die Bundesregierung, ist jetzt der endgültige Moment des Aufwachens gekommen. Tiroler Schützen und eine trotzige Sperre der Brennerbrücke werden uns dabei nicht weiterbringen. Die Regierung braucht jetzt endlich die Strategie, zu der sie sich in den letzten zehn Jahren nicht aufgerafft hat - massives Geld für den Bahnausbau und politisches Lobbying für die Wegekostenrichtlinie wären ein solcher Anfang. (DER STANDARD Printausgabe, 27.11.2003)