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Dabei gefährden die Kleinen den Euro eher noch stärker: eine Breitseite aus dem nahen Norden gegen die Kritiker der "Einfrierung" des Stabilitätspakts

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Es ist wie im Märchen. Europas brave kleine Länder machen ordentlich ihren Haushalt, während die bösen großen schludern und fiese Schulden machen. So jedenfalls hört es sich an, wenn Österreicher, Holländer oder Finnen derzeit hastig über Deutsche und Franzosen schimpfen und in Brüssel wie David gegen Goliath kämpfen - und ganz, ganz strenge Strafen fordern.

Rückkehr der Überheblichkeit

Das Problem ist, dass das in der Tat höchst märchenhaft klingt. Vor lauter Aufregung um französische und deutsche Staatsdefizite droht derzeit außer Acht zu geraten, dass das Genörgel der aufgeregten und angeblich tugendhaften Kleinstaatler immer absurdere ökonomische Züge trägt. Es könnte sogar sein, dass von dem einen oder anderen Kleinen größere Gefahr für die Stabilität des Euro ausgeht als von den Großen - weil statt der Defizite dort etwa die Löhne drastisch steigen.

Spätestens dann läge der Verdacht nahe, dass es von den eifrigen Deutschen ziemlich dumm war, einen wirtschaftlich konfusen Stabilitätspakt durchzudrücken, der für alles andere als für Stabilität sorgt, wie sich jetzt zeigt.

Über Häme dürfen sich die Deutschen natürlich nicht wundern, wo sie doch lange selbst den Lehrmeister gespielt haben. Im Grunde ist es sogar heilsam, wenn sich Regierungen in einer Währungsunion beäugen. Nur hat das jüngste Hickhack damit wenig zu tun.

Es hat nicht nur politisch etwas Absurdes, wenn ein rechtsnationaler österreichischer Finanzminister lautstark empfiehlt, die Deutschen wegen ihrer Etatpolitik zu strafen. Österreich steht 2003 zwar mit weniger Staatsdefizit da - viel mehr Gutes lässt sich über den großspurigen Kassenwart Karl-Heinz Grasser aber kaum sagen: Die Staatsschuldenquote liegt mit 66 Prozent so hoch, wie sie im Nachkriegsdeutschland nie gestiegen ist.

Ein Teil des Defizits ist zudem nur deshalb verschwunden, weil der Herr Minister Abgaben erhöht hat - ein ökonomisch eher zweifelhaftes Rezept. Laut Stabilitätsplan der Regierung wird Österreichs Staatsausgabenquote selbst 2007 mit knapp 50 Prozent noch um einiges höher liegen als in Deutschland.

Ähnliches gilt für Hollands höchst selbstbewussten Finanzminister Gerrit Zalm: Auch er erhebt relativ mehr Steuern als sein deutscher Kollege - musste sein Land dafür allerdings auch in eine der schlimmsten Rezessionen begleiten, die es in Industriestaaten je gab.

Mehr noch: Der vermeintliche Stabilitätsapostel hat aus einem Etatüberschuss von gut zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in nur zwei Jahren ein Defizit werden lassen, das 2004 nur knapp unter der Drei-Prozent-Grenze des Stabilitätspakts liegen dürfte. Eine so dramatische Verschlechterung des Etats in so kurzer Zeit - das hat selbst der klägliche Finanzminister Hans Eichel nicht hingekriegt.

Groteske Lehrmeister-Allüren

Wirklich grotesk wird das penetrante Poltern der Zalms und Grassers, wenn man bedenkt, was das eigentliche Ziel des Stabilitätspakts ist: stabile Preise. Wenn überhaupt, dann haben gerade die laut Defizitregel so tugendhaften Holländer, Spanier und Finnen zuletzt für Inflation im Euroraum gesorgt. In den Niederlanden stiegen die Preise seit dem Eurostart um enorme 17 Prozent.

Dazu hat Finanzminister Zalm per Anhebung der Mehrwertsteuer kräftig beigetragen. Zum anderen stiegen die Lohnstückkosten um ein Fünftel, in Deutschland nur um 3,7 Prozent.

Es wirkt schlicht frech, wenn sich der Holländer Zalm darüber aufregt, dass Deutschland - mit einer Mini-Inflation von einem Prozent - angeblich den Euro gefährdet. Und wenn sich Spaniens Premier umgekehrt mit gesunkenen Defiziten brüstet, wo im Lande gerade vereinbart wurde, dass die Löhne an die Inflation indexiert werden - was leicht zum Hochschaukeln der Preise führen kann.

Ohne die lohnpolitischen Exzesse von Spaniern und Holländern hätte die Euro- Inflation seit 1999 deutlich unter der Höchstmarke der Europäischen Zentralbank gelegen. Die Zinsen hätten früher und stärker gesenkt werden können, um die Wirtschaft zu stützen.

Umso tragikomischer wirkt(e) das Brüsseler Theater vor und nach der nun getroffenen Entscheidung der EU- Finanzminister zugunsten Frankreichs und Deutschlands, weil es vor allem eines vorführt: Wie sehr der Stabilitätspakt aus einer Zeit stammt, als Staatsdefizite noch als Hauptgrund für Inflation galten. Und wie unsinnig es daher wäre, Länder zu bestrafen, die zwar Defizite haben, aber keine Inflation - und die den Euro gar nicht gefährden, während gleichzeitig Inflationsländer wie die Niederlande als Vorbilder durchgehen.

Pakt mit Konstruktionsfehler

Natürlich sollte jedes Land solide Staatsfinanzen ansteuern. Nur ist der EU-Pakt dafür denkbar ungeeignet. Er verhindert weder den Anstieg von Defiziten über die Fetisch-Marke von drei Prozent, noch sorgt er dafür, dass Regierungen schon in guten Zeiten früh gegensteuern, um Inflation und einen Crash wie gerade jetzt in den Niederlanden zu vermeiden. Im Gegenteil: Die EU-Ökonomen lobten in ihrer Herbstprognose auf naive Weise Spaniens Regierung - trotz Inflation, Lohnindexierung und akuter Anzeichen für eine Immobilienblase. "Spaniens Wirtschaft droht 2004 zu überhitzen", warnen die Experten von Goldman Sachs. Madrid müsste einen viel restriktiveren Finanzkurs fahren, nicht das krisengeschwächte Deutschland.

Die verquere Drei-Prozent-Logik ist nicht nur ökonomisch absurd, sie animiert auch zu einem ziemlich absurden politischen Spiel gegenseitiger Schuldzuweisung mit pseudovolkswirtschaftlicher Legitimation. Es wird höchste Zeit, den Spuk zu beenden, bevor die nächste Stufe des Pakts greift und Finanzminister anderer Eurostaaten vorzuschlagen beginnen, wofür Deutschlands Regierung Geld ausgeben soll und wofür nicht. Wer weiß, vielleicht empfehlen uns die Spanier sonst noch, zur Konjunkturstützung ein paar Stierkampfarenen zu bauen. Oder Autobahnen, auf Wunsch von Herrn Grasser. (DER STANDARD Printausgabe, 27.11.2003)