Oder: Die schwarze Muh gehört dazu. Die rote natürlich auch. Aber das ist hier nur von untergeordnetem Interesse: eine True Story aus dem Kontrollamt gegen politischen Tier- und Artenschutz.

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"Es tut gar nicht weh!" Der Eingriff wird unter lokaler Betäubung durchgeführt. Dabei wird die Nasenscheidewand einen halben Zentimeter hinter der Nasenspitze durchbohrt. Ein kurzer Metallzylinder schützt ein Loch von etwa fünf Millimeter Durchmesser. Wenn sich die kleine Wunde nicht entzündet, wird nach wenigen Tagen ein Ring in die Öse gesetzt.

Am 7. November trafen sich zwölf VP-Abgeordnete zur Vorbesprechung im Raab-Zimmer. Ein Mitarbeiter des Innenministers gab jedem ein 58-seitiges Papier, in dem die Fragen der VP-Mandatare und die Antworten des Ministers vorgeschrieben waren. Dort, wo spezielle Begriffe verwendet wurden, war die korrekte Aussprache in Frage und Antwort in Lautschrift beigefügt. Weder Fragesteller noch Minister sollten sich beim gegenseitigen Vorlesen blamieren.

Der Nasenring ...

Nachdem jeder getrunken hatte, ließ sich einer nach dem anderen von Fraktionsführer K. die Klubleine durch den Nasenring ziehen. Dann gingen sie gemeinsam ins Lokal III. Dort stellten die Abgeordneten beinhart ihre Fragen, die der Minister bravourös beantwortete. Am Weg zurück geschah das Malheur. Der Abgeordnete D. hatte seinen Kollegen S. zu vertreten. Als der Fraktionsführer zum Zeichen des Aufbruchs an der Leine zog, wurde D. so plötzlich hochgerissen, dass er nur noch kurz einem Bediensteten zurufen konnte, er möge ihm doch seine Unterlagen in den VP-Klub bringen. So blieb der Fragen- und Antwortkatalog im Ausschusslokal liegen.

Als ich Tage später daraus öffentlich vorlas, meldete sich der Nasenringkoordinator des VP-Klubs bei uns. Er machte darauf aufmerksam, dass einer Regierungspartei rein technisch gar nichts anderes übrig bliebe und wir auch noch draufkommen würden. Kurz danach ersuchte eine Mitarbeiterin des VP-Klubs meinen Referenten, das Papier zurückzugeben.1) Es sei Eigentum des ÖVP-Klubs. Ein paar Tage später erzählte mir einer der Ringträger stolz, jetzt werde viel besser aufgepasst, damit nichts liegen bleibe.

Es gibt zwei Gründe, Regierungsabgeordnete wie Ochsen zu halten. Der erste liegt in der Art der Regierungspolitik. Je mehr das, was mit getragen werden soll, den eigenen Überzeugungen widerspricht, desto stärker muss der Zwang sein, der garantiert, dass alle auf Linie bleiben. Natürlich hat es auch in der SPÖ Nasenringe gegeben. Immer wieder, wenn es um Verfehlungen eigener Minister oder Verstöße gegen die eigenen Prinzipien ging, hatten die Abgeordneten der SPÖ die Nase hinzuhalten. Aus den Einzelfällen ist aber mittlerweile aus einem simplen Grund ein Dauerzustand geworden: Seit Wolfgang Schüssel an der Spitze einer schwarz-blauen Regierung steht, sind Verfassungsbrüche, Nichtbeachtung von Höchstrichter-Erkenntnissen und Freundschaftsdienste bei Auftragsvergaben und Personalentscheidungen zur Regel geworden. Die Macht tritt fast nur noch als ihr Missbrauch auf. Seit die Schüssel/Grasser/Strasser-Kultur herrscht, kann man die Abgeordneten nicht mehr von der Nasenleine lassen.

Der zweite Grund liegt in der Natur der Abgeordneten selbst. Man muss schon rindsmäßige Voraussetzungen mitbringen, um zum Ochsen zu taugen. Niemand wäre auf die Idee gekommen, Heinrich Neisser oder Michael Graff einen Nasenring anzupassen. Beide sind Geschichte. Heute ist die ÖVP so gesäubert, dass sich mit ihr alles anstellen lässt. Beim Vorlesen ertappt, hat sich keiner der ÖVP-Abgeordneten geniert. Sie sind ja nur bei ihrer Arbeit erwischt worden. Wenn es der Kanzler verlangt, werden die VP-Abgeordneten einander in Zukunft mit "Muh" grüßen - und zum nächsten Ausschuss trotten.

... als Klubsymbol?

Unter den einfachen Menschen, wie man jene nennt, die kein Mandat haben, aber genauso gut vorlesen könnten wie die Abgeordneten der VP, ist ein Vorurteil tief verwurzelt: dass alle Politiker Gauner seien. Das stimmt nicht. Wenige können sich alles leisten, weil viele in der Politik alles für sie tun. Das schwarz-blaue Lumpenparadies funktioniert, weil es von wenigen Lumpen und vielen Ochsen bevölkert wird. Nasenring hinhalten, aufstehen, Frage vorlesen, was trinken, Kanzler loben, Rede vom Blatt lesen, Finanzminister decken, was trinken, austreten, sitzen bleiben - das ist der Ochsen-Alltag.

Was kann man tun? Auslachen und abwählen und einer neuen Regierung eine Bedingung stellen: dass das Parlament reformiert wird.

Eines wird dabei zur Kernfrage: ob der Untersuchungsausschuss Minderheitenrecht wird. Kontrolle ist die Aufgabe der Opposition und damit der Minderheit. Wenn Grüne über eine Regierung verhandeln, dann müssen sie genau dieses Minderheitenrecht zur Bedingung machen. Sonst drohen grüne Ochsen.

1) Ich habe ihr den Gefallen getan und das Papier in mein Webtagebuch gestellt: (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.11.2003)