Internationale Pressestimmen zu Berliner Treffen Schüssel-Schröder "Versuchter Neustart" - "Skandal und Kuriosum"

Frankfurt/Zürich - Der erste Deutschland-Besuch von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel seit den Irritationen wegen des Regierungseintritts der FPÖ 2000 und den Strafmaßnahmen der EU-14 ist am Freitag Gegenstand von deutschen und schweizerischen Pressekommentaren:

"Frankfurter Allgemeine Zeitung":

"Ein Bundeskanzler steht mit einem Bundeskanzler immer auf Augenhöhe, mag auch des einen Land groß, des anderen klein sein. Das Treffen des deutschen und des österreichischen Regierungschefs wurde von Schüssel genutzt, um den Streit der beiden Finanzminister Grasser und Eichel im Ministerrat der EU etwas zu glätten. Er stimmte der Warnung Schröders an die EU-Kommission zu, sie solle eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der Verletzung des Stabilitätspakts nicht einmal erwägen. Die gemeinsame Hoffnung auf eine Reform des Paktes könnte zwar beide Länder teuer zu stehen kommen, wenn der Euro dadurch Schaden erlitte. Aber Schüssel wägt finanzielle Risiken gegen rechtliche Vorteile. Die will er für sein Land in der europäischen Verfassungsgebung erreichen, und dazu braucht er Schröders Einwilligung. Wie andere kleine Länder, die sich auf Grund des Verfassungsentwurfs ebenfalls in ihren Mitbestimmungsrechten beschnitten fühlen, fordert Österreich einen vollwertigen Dauersitz in der EU-Kommission. Die Gleichberechtigung seines Landes in der EU ist Schüssel - und anderen Regierungschefs - langfristig wichtiger als der Euro-Kurs, der ohnehin konjunkturell schwankt."

"Neue Zürcher Zeitung":

"Schröder verkündete in ostentativ aufgeräumter Stimmung, 'wir lassen die Geschichte Geschichte sein'. Schüssel sagte, beide Seiten richteten den Blick nach vorn. Allerdings gibt es auch in der Gegenwart genügend Probleme. Schüssel machte deutlich, dass er die von Berlin erzwungene Sistierung des Brüsseler Defizitverfahrens ablehnt. Er sagte, es habe jedoch keinen Sinn, wenn die Fronten starr blieben. Schüssel forderte eine rasche Reform des Stabilitätspaktes. Dieser benötige glaubhafte Spielregeln. (...) Schüssel hat sich als einer der entschiedensten Kritiker des von Paris und Berlin unterstützten Entwurfs für eine EU-Verfassung profiliert, betonte (...) aber eine gewisse Flexibilität. Er erklärte, Österreich habe vor der Regierungskonferenz in Nizza das Prinzip der doppelten Mehrheiten unterstützt. Man sei deshalb nicht dagegen, zum Ausgangspunkt zurückzukehren."

"Neue Osnabrücker Zeitung":

"Ein österreichischer Kanzler zu einem offiziellen Besuch in Berlin - was nach Routine klingt, ist in Wahrheit die Konsequenz einer Mischung aus Skandal und Kuriosum der europäischen Diplomatie. Immerhin regiert Wolfgang Schüssel schon seit Februar 2000, ohne dass er beim Nachbarn Deutschland willkommen geheißen wurde. Zwar hielten die Sanktionen der EU nach dem Eintritt der rechtspopulistischen Haider-Partei FPÖ ins Wiener Kabinett nur sieben Monate, aber Schüssel und seine Ministerriege werden von ihren Berliner Kollegen seitdem trotzdem auf Distanz gehalten. Dabei spielt ein gutes Stück Heuchelei mit. Schließlich wird mit dem kleinen Österreich viel rüder umgesprungen als mit dem großen Italien und dessen schillerndem Premier Silvio Berlusconi." (APA/dpa)