Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat mit seinem Vorstoß zur Reform des Stabilitätspaktes nicht nur konservative Parteifreunde in Berlin überrascht. Dass ausgerechnet ein Vertreter jenes Landes, das am Dienstag noch vehement für den Stabilitätspakt kämpfte, zwei Tage später dessen Reform einfordert, muss verwundern - zumal Schüssels Begründung fast wortgetreu der Argumentation des deutschen Finanzministers Hans Eichel entspricht. Schüssel verlangt, wie zuvor Eichel, dass der Pakt "Wachstumsimpulse zulassen" müsse.

Schüssel fällt mit dieser Kehrtwende in Berlin seinem Finanzminister Karl-Heinz Grasser in den Rücken, der sich mit teilweise martialischen Worten in Brüssel als Hüter des Stabilitätspaktes geriert hat. Dieser Vorstoß war wohl eine Art Gastgeschenk für den deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder, der Schüssel in Berlin mit militärischen Ehren empfangen und damit sichtbar die Sanktionszeit beendet hat. Schüssel will damit offensichtlich Deutschland als Verbündeten im Transitstreit gewinnen - nach dem Motto: Ich helfe euch beim Stabilitätspakt, dafür helft ihr uns beim Transitstreit.

Der Streit um den Stabilitätspakt wird zwangsläufig eine Rolle beim EU-Gipfel zur europäischen Verfassung Mitte Dezember spielen. Wenn Österreichs Regierung, wie angekündigt, dort neben einem eigenen Kommissar auch noch eine neue Transitregelung durchsetzen will, dann wird der Eindruck gestärkt, hier wird wie auf einem Bazar geschachert. Österreich kann die Versäumnisse bei den Transitverhandlungen nicht mehr wettmachen. Dazu beigetragen hat, dass Österreich seine Verhandlungsposition wiederholt gewechselt hat. Mit der neuesten Pirouette beim Thema Stabilitätspakt wird Österreichs EU-Politik noch weniger glaubwürdig und nachvollziehbar.