Wien will anders sein. Mit andersrum freilich haben auch aufgeklärte Stadtväter- und -mütter scheinbar immer noch ein Problem. Natürlich nicht am Lifeball, der ist ja schick und schrill und lässt sich bestens vermarkten. Auch die Regenbogenfähnchen, die während schwul-lesbischer Festivals Straßenbahnen schmücken dürfen, passen vorzüglich in ein buntes Stadtbild.

Aber ein Mahnmal für homosexuelle Opfer des Nationalsozialismus? Schon wieder in grauen Stein gehauene Erinnerung an braune Verbrechen aus einer dunklen Zeit? Ist nicht notwendig, heißt es in der Kulturabteilung an der schönen blauen Donau. Denn das bestehende Mahnmal von Alfred Hrdlicka bei der Wiener Albertina sei ja ohnehin allen NS-Opfern gewidmet. Die zugehörige neue Gedenktafel sei auch schon fertig und werde demnächst angebracht.

Am guten Willen der Stadt soll hier nicht gezweifelt werden. Doch abgesehen davon, dass diese Gedenktafel zwölf Jahre auf sich warten lässt, erinnert die Argumentation im Büro des Kulturstadtrates an einen Pauschalablass. Der straßenwaschende Jude, mit dem Hrdlicka den Schrecken antisemitischen Rassenwahns unauslöschbar in Bronze gegossen hat, soll zur Aufarbeitung aller Nazi-Greuel dienen - quasi in einem Aufwaschen.

Um NS-Opfer nicht zur grauen Masse verschwimmen zu lassen, ist es aber notwendig, spezifische Erinnerungen in möglichst vielen Köpfen wach zu halten. Juden, Homosexuelle, Roma, Sinti, Zeugen Jehovas, Widerstandskämpfer und alle anderen Opfergruppen des Naziregimes, sie alle haben Anspruch auf eigene Gedenkstätten.

Berlin hat übrigens ein Mahnmal für homosexuelle NS-Opfer, Köln auch, Amsterdam sowieso. Wien bleibt anders. (DER STANDARD,Printausgabe, 1.12.2003)