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Businesslook in amerikanischen Gefängnissen: Quer gestreift statt Nadelstreif - Der tiefe Fall der US-Manager ist ein beliebtes Thema an den Universitäten

Foto: Reuters/Shannon Stapleton
Morgendämmerung in der Pampa des US-Bundesstaates Maryland. Ein Bus voller Studenten schlängelt sich über die verregnete Interstate 68, entlang in Nebel getauchter Rapsfelder. Professor Craig Carter ruft zum Appell: "Good morning, how are you?"

Die Rückbank antwortet mit einem improvisierten Schnarchkonzert, auf den anderen Sitzen flattern müde Augenlider, jemand stöhnt: "Long night, Professor!".

An der Abzweigung Burbridge Road schlägt die Stimmung an Bord um. Alle Augen starren gebannt und ernst auf die rechte Fensterfront, vor der ein grauer Betonklotz hinter Stacheldrahtzaun näher rückt. Noch ein paar Hundert Meter bis zum Gebäude 14601, der Strafvollzugsanstalt von Cumberland. Gefängnisbesuche sind Pflichtfach im MBA-Programm der University of Maryland, die zu den 25 besten Wirtschaftsschulen in den USA zählt.

Kurz vor der Diplomverleihung treffen die Studenten einen Tag lang auf verurteilte Manager, die Bilanzen manipuliert, Steuern hinterzogen oder Gelder unterschlagen haben. Die Professoren versprechen sich von der direkten Konfrontation mit den "White Collar Criminals", wie die Wirtschaftskriminellen in Anspielung auf ihre weißen Hemdkragen in den USA genannt werden, eine Lektion fürs Geschäftsleben.

Grüne Knastkluft

"Die letzte Nummer, die ich in meinem Leben hatte, war die in meinem Studentenausweis der University of Maryland; hier heiße ich 32974-037", begrüßt Daniel Colton die Studenten, die nach Besichtigung der Gefängnisanlage nun kerzengerade in den Metallstühlen des Besucherraumes sitzen. Colton, einst ein erfolgreicher Bauunternehmer, verbüßt eine Freiheitsstrafe von 39 Monaten: Er hatte den Banken und der Regierung wichtige Informationen vorenthalten, um seine Schuldenberge zu decken. Neben dem Rednerpult wartet noch ein anderer Dozent in grüner Knastkluft: Michael Bloom war Versicherungsvertreter, er bekam 24 Monate für Scheckbetrug. Colton, ein ehemaliger Alkoholiker, vergleicht die Gier nach Geld mit dem Griff zur Flasche: "Es nimmt dich ein, du willst immer mehr davon." Michael Bloom hält es kurz: "Ich bin hier, weil ich einmal so war wie ihr und dachte, mir könne so etwas nicht passieren."

Die rund 200 Wirtschafts-hochschulen in den USA sind traditionell verpflichtet, das Thema Ethik in ihre Lehrpläne mit einzubauen. Bislang geschah das zumeist im Rahmen der traditionellen Fächer wie Management, Marketing oder Finanzwesen.

Seit der durch Enron, Worldcom und Tyco international losgetretenen Skandalserie, die zahllose Arbeitsplätze vernichtete, Kleinanleger ruinierte und das Vertrauen in die US-Marktwirtschaft erschütterte, setzt sich jedoch zunehmend die Erkenntnis durch, dass es mit der Theorie alleine nicht getan ist.

Nicht nur auswendig lernen

Auch Tom Campbell, Dekan an der University of Berkeley, setzt auf abschreckende Knast-Seminare: "Wir dürfen es nicht dabei belassen, dass die Studenten ethische Prinzipien auswendig lernen, aufsagen und dann einfach so in die Arbeitswelt entlassen werden."

Frage-und-Antwort-Runde in der Strafvollzugsanstalt Cumberland: Eine Studentin will wissen, was das Leben hinter Gittern so schlimm macht. Die verurteilten Manager sprechen von ihren langweiligen Gefängnisjobs, für die sie gerade mal zwölf Cent die Stunde kriegen, und von der Erniedrigung, dass man sie ins Entlausungsbad gesteckt und ihnen außer einer Brille (keine Kontaktlinsen!), einem religiösen Text und Trauring ohne Stein keine persönlichen Besitztümer gelassen hat.

Bloom kriegt regelmäßig Besuch von seinen ehemaligen Angestellten, die immer wieder dieselbe Frage stellen: "Warum hast du uns das angetan?" Coltons Frau kommt gar nicht: "Ich habe heute mit der Gefängnispost die Unterlagen für die Scheidung bekommen", das ist alles, was Insasse 32974-037 noch sagen kann, bevor seine Stimme abbricht und er den Raum verlässt.

Keine bösen Absichten

Der Einfluss, den die durchaus reformwilligen Wirtschaftsschulen auf ihre Eleven ausüben können, ist allerdings umstritten. Kritiker monieren, dass die Wertvorstellungen und ethischen Prinzipien eines Menschen in dessen ersten zwölf Lebensjahren geprägt werden. Und sie verweisen oft auf die von der Universität völlig losgekoppelte Geschäftswelt. "Nur die wenigsten Manager haben wirklich böse Absichten", meint Professor James S. Reece von der University of Michigan. Die meisten seien Opfer ihres Umfelds, in dem sie entweder das Produktionsziel erreichen oder entlassen würden. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.12.2003)