Dem Dichter Dante wäre die Voestalpine in Sachen Inferno kaum ein Inspirationsquell gewesen. Keine sagenhaften Feuersbrünste, kein infernaler Lärm, keine unbeschreibliche Hitze. Nicht einmal grimmig schauende, schwitzenden Hünen, die das Glutmeer im Hochofen höllisch hustend mit Kohle füttern. 2,4 Millionen Kilo Koks frisst so ein Hochofen am Tag, drei davon sind in Linz im Einsatz und spucken 10100 Tonnen Roheisen pro Tag wieder aus. Eisen, das hauptsächlich in die gehobene Autoindustrie und die Produktion größerer Haushaltsgeräte fließt.

Man mag es kaum glauben, es ist ein zauberhafter Ort, hier am heißen Fuß des 108 Meter großen Hochofens. Aus seinem Bauch fließt ein Bach, er gleicht einem quietschfidelen Gebirgsquell, sein Wasser brennt, es leuchtet und glüht, sein Wasser heißt Roheisen und hat eine Temperatur von 1470 Grad. Ausschauen tut's heißer. Aus dem erstaunlich dünnflüssigen Strom zischen Hunderte verglühende Kohlenstoffteilchen, die wie Christbaum-Sternspritzer elfenhaft durch die Halle surren und wie Seifenblasen zerplatzen.

Im Inneren des Hochofens schaut's freilich anders aus. Um diesen Hot Stuff zu erforschen, wurde letztes Jahr das Linzer Kompetenzzentrum Industriemathematik von der Voestalpine Industrieanlagenbau (VAI) engagiert, um zumindest virtuell Einblick in den Bauch des Ofens zu bekommen. Messungen in Sachen Hochofen können mehr oder weniger nur oberflächlich vorgenommen werden. Die Mathematiker machen sich nun ans Eingemachte.

Gerald Gökler vom Kompetenzzentrum spricht von Modellierung auf physikalischer Basis in Form von Differenzialgleichungen, die numerisch gelöst sein wollen. "Schließlich", so der Mathematiker, "muss, was an Energie hineinfließt, auch irgendwie wieder herauskommen." Dabei zerlegen die Forscher den gigantischen Ofenbauch in klitzekleine Zellen und gehen von mehr als 100.000 Unbekannten aus. Für jede der Zellen, für jeden Punkt in diesem Netz soll ein Zustand ermittelt werden. Berücksichtigt werden unter anderem Wärmebilanzen, Massebilanzen, die Strömungen von Gas in den einzelnen Schichten - alles zusammen eine "algorithmisch sehr trickreiche Sache", wie Geschäftsführer Andreas Binder angesichts sehr spacig anmutender Formeln betont.

Auf gewisse Weise bauen die Mathematiker den Hochofen mit Daten nach. Es geht ihnen in weiterer Folge um die Simulation von Verfahrenstechniken. Die ermittelten Szenarien sollen zu Grundlagen für spätere Entscheidungen in den Hochofen-Steuerwarten werden, die mit ihren Monitoren, Schaltern, Knöpfen und Anzeigetafeln ein wenig an die Kommandobrücke der "Enterprise" erinnern. Neben dem technologischen Expertenwissen jener Personen, die direkt mit dem Hochofen konfrontiert sind, kommt den Mathematikern auch die Erfahrung der VAI zugute, die seit langem in Sachen Hochofenautomation aktiv sind.

"Sofort" reagieren

Eine Software erlaubt, die Launen des Ofens genau im Auge zu behalten und - wenn nötig - sofort zu reagieren. Wobei "sofort" ein befremdliches Wort angesichts der Tatsache ist, dass der Hochofen ein sehr träges Aggregat darstellt und erst viele Stunden nach Einleitung gewisser Schritte auf diese reagiert.

Auch in diesem Zusammenhang soll die Automation im Sinne verdichteter Messdaten helfen, die richtigen Maßnahmen zur richtigen Zeit zu setzen. "Schließlich", so der VAI-Automationstechniker Dieter Bettinger, "geht es um Kostenersparnis, um Rohmaterialkostensenkung". Automation ist auch in diesem Zusammenhang das Zauberwort und ein entscheidender Faktor, die Kosten - die zu 80 Prozent durch Rohmaterialbeschaffung anfallen - zu reduzieren. Und leztlich macht die Voestalpine gemeinsam mit der VAI mit zahlreichen Entwicklungen auf dem Gebiet der Automation Geld und verkauft ihr Know-how an Hochofenbetreiber weltweit.

Der Star ist der Hochofen selbst, und auch die Mathematiker sind bei ihrem ersten Besuch am Ofen beeindruckt. "Hexenkessel" nennt ihn Paul Kagerer, einer von vier Prozessingenieuren rund um die drei Linzer Öfen, während zwei so genannte Oberschmelzer an ihm vorbeikommen. Über ihren Helmen rieseln ein paar winzige Eisenflöckchen vom Himmel der gigantischen Halle. Silbrig wie zwei Firn-Zuckerln sind sie in Schutzanzüge eingepackt und rühren mit zwei langen Stangen in der brodelnden Schlackemasse um. Sie sind die Gehilfen in dieser Hexenküche, die seit 1994 unter Dauerfeuer steht - Ofenreise nennt das der Fachkundige. 19 Millionen Tonnen Roheisen wird dieser Hochofen gezaubert haben, wenn er im nächsten Jahr abgeschaltet wird, um wieder in Form gebracht zu werden. Fast findet man es schade, dass die Wissenschaft herausfindet, was in seinem geheimnisvollen Bauch vorgeht, von dem Kagerer liebevoll meint: "Wenn's dem Ofen gut geht, geht's auch den Leuten um ihn gut." Aber so eine echt schräge Mathematikformel hat ja auch ihre geheimnisvollen Seiten. (Michael Hausenblas/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1. 12. 2003)