Dominik Kamalzadeh

Wien - Ein schmächtiger Mann mit ausdruckslosem Gesicht betritt das Geschäft, nascht an einem Fass Melasse und entscheidet sich, einen Eimer davon zu kaufen; am Ende einer Serie von Missverständnissen klebt er am Boden an dem schwarzen Sirup fest, und der rundliche Verkäufer verbiegt ihm die elastischen Gelenke bei dem Versuch, ihn wieder loszureißen.

Die Szene stammt aus The Butcher Boy, einem turbulenten Slapstick-Kurzfilm von 1917, der vor allem durch einen Umstand berühmt ist: Buster Keaton, wenig später einer der großen US-Stummfilmkomiker, gibt darin sein Leinwanddebüt - als jener, der nicht von der Stelle kommt.

Der andere trägt seine Physiognomie im Namen mit: Roscoe "Fatty" Arbuckle, ein dreihundert Pfund schweres Babyface mit akrobatischen Fähigkeiten, war durch seine Keystone-Filme in den 10er-Jahren fast so berühmt wie Charles Chaplin - bis Anfang der 20er eine wüste Party, bei der eine junge Frau ums Leben kam, seiner Karriere ein abruptes Ende setzte.

Das Österreichische Filmmuseum zeigt im Rahmen seiner großen Buster-Keaton-Retrospektive nun erstmals auch Beispiele dieser Zusammenarbeit. Es sind gewissermaßen Keatons Lehrjahre: Unter anderem als Regieassistent Arbuckles eignete er sich das filmische Handwerk an. Als Darsteller ist der bereits als Knabe bei Vaudeville-Aufführungen ausgebildete Komiker (etwa als The Human Mop) hingegen voll entwickelt.

In (Fatty at) Coney Island, einem Gagfeuerwerk im Vergnügungspark, gibt Keaton als Figur, die den Attraktionen einer völlig autonom bewegten Welt gegenübersteht, bereits einen Eindruck davon, was noch folgen wird: ein Mann mit "Stoneface", der (nicht nur) dem eigenen Scheitern keinerlei Regung abgewinnt - und stets weniger selbst absurd wirkt, als die ihn umgebenden Situationen so erscheinen lässt.

Flexibler Häuslbauer

Ab 1920 dreht Keaton - Autor, Darsteller und Regisseur in Personalunion - unter dem Produzenten Joseph M. Schenck eigene Kurzfilme, worunter sich bereits kleine Meisterwerke finden: In One Week baut er als frisch Verheirateter ein Fertighaus, das schließlich aussieht, als hätte es ein Surrealist entworfen. Katastrophen wie diese machen ihn jedoch nicht manisch. Keatons Helden sind Anpassungswunder, sie bleiben flexibel, solange es halt geht. Und ziehen am Ende schulterzuckend davon.

Oft beginnen seine Filme damit, dass er eine ihn in jeder Hinsicht überragende Mission erfüllen muss, um seine Geliebte zu erobern. Als dekadenter Sprössling der Oberschicht sieht er sich in Battling Butler der Situation gegenüber, als Boxer zu genügen: Doch Keaton vermag nicht zu lernen, wie ein Kind hüpft er angstvoll in den Schoß des Trainers. Erst wenn das Bewusstsein aussetzt, gelingt ihm alles: Dann schlägt er sogar den Champion k.o.

Ähnlich in College, wo er als Musterschüler bei der Leichtathletik am Campus kläglich versagt. Aber wenn es darum geht, die Angebete zu retten, überspringt er mühelos die höchsten Zäune und erklimmt im Stabhochsprung das Fenster. Mit dem am Hintern montierten Steuerruder gewinnt er schließlich sogar das Bootsrennen - hier wird schon deutlich, was es mit den Maschinen auf sich hat, die in seinen berühmtesten Filmen so tragende Rollen spielen.

Sie können, wie in The Navigator, überdimensionierte Dampfer sein oder Züge, die an den Panoramen des amerikanischen Bürgerkriegs vorbei rasen (The General): Mit Geistesabwesenheit - so nennt der Kulturtheoretiker Siegfried Kracauer den zentralen Charakterzug Keatons - vermag er sie in Gang zu setzen. Er benötigt dazu kein technisches Fachwissen; vielmehr macht er die Maschinen beherrschbar, indem er ihre Funktionsweise pervertiert, dabei zu einem kleinen Glied innerhalb ihrer Mechanik wird.

Darin liegt wohl die Vision dieses Komikers seiner Zeit: Er will die Maschinen, diese Ungetüme der industriellen Revolution, wieder dem gewöhnlichen Menschen zugänglich machen - auch ohne ihren verborgenen Zweck zu verstehen. Der Weg dorthin führt über burleske Bahnen und tolldreiste Fluchten, durch die sich Keaton, ganz ahnungsloses Subjekt der Moderne, wie ein Athlet des Zufalls manövriert.
Bis 21. 12. im Filmmuseum