Wien - Zwei unterschiedlichere Musiker kann man sich kaum vorstellen. Daniel Harding - fein geschnittene Gesichtszüge und eine knabenhafte Gestalt. Seine Hände - der Brite lässt sie meist fast lose von seinen Handgelenken baumeln - wirbeln in elegant geführten Bögen umher, zeichnen beschwingt melodische Linien nach, injizieren jedem Werk behände Agilität und moussierenden Esprit.

Pianist Lars Vogt wirkt kompakt, robust. Seine künstlerischen Eigenschaften sind Kraft, Festigkeit und Ruhe. Schießen die Themen bei Harding wie Fontänchen aus einer barocken Springbrunnenanlage, werden sie beim Deutschen wie eine feste Burg gebaut: jeder Ton ein exakt platzierter Ziegel im grundsoliden Klanghaus. Melodische Linien werden mit einer Kraft geführt, die Güterzüge in Bewegung setzen könnte.

Packend auch Vogts Bereitschaft zu emotionaler Entäußerung: Er verbeißt sich mitunter derart heftig ins Kompositionsfleisch, dass es schmerzt. Bei Fortissimo-Akkorden meint man hausgroße Granitquader auf eine ebene Fläche hinunterdonnern zu sehen. Bei Brahms' 1. Klavierkonzert dominierte der Deutsche naturgemäß das Geschehen, war im 1. Satz ernsteste und auch schreiendste Emotion, durchwandelte den zweiten wie in klarer Trance und widmete sich dem motorischen Element des dritten Satzes mit einer Furcht erregenden Gnadenlosigkeit.

Harding umhüllte den festen Korpus der Vogtschen interpretatorischen Rigidität mit fein-wärmender orchestraler Klangpracht. Bei der Zugabe, dem zweiten Satz von Ravels G-Dur-Klavierkonzert, war das Konzerthauspublikum gebannt von Ruhe, Klarheit, Schlichtheit und Wärme. Alles andere als ruhig, klar und schlicht war die Interpretation, die Erwin Ortner tags darauf dem Chorpart des Mozart-Requiems angetan hatte.

Der technisch virtuos agierende Schönberg Chor trippelte in manierierter Manier durch das Werk: Kuschelpianissimi und föhnfrisierte Aufschreie wechselten in steter, kraftloser Folge; anstatt elementarer Wucht Künstlichkeit. Die Solisten fügten sich glänzend in den klingenden Jahrmarkt der Eitelkeiten: Christine Schäfer trällerte sich durch die Totenmesse in Farben, in denen die Außenministerin diplomatische Beziehungen zu pflegen pflegt, Bernarda Fink gurrte lasziv dazu, Kurt Streit und Gerald Finley assistierten mit edel-soigniertem Kunstgesang.

Härte, Schmerz, Verzweiflung und Hoffnung, echtes Leben war im Musikverein fallweise nur vonseiten des Concentus Musicus und Nikolaus Harnoncourt zu spüren. (end/DER STANDARD, Printausgabe, 2.12.2003)