Frankfurt am Main - Rund ein Jahr nach dem Tod Siegfried Unselds lesen sich die Streitigkeiten um die Nachfolge des Suhrkamp-Verlegers in Amt und Macht wie Episoden einer (allerdings wegen juristischer Trockenheit der Materie wenig quotenträchtigen) Soap. Und wie bei einer Soap üblich, sind die Rollen scheinbar klar verteilt: hier die schöne, machtgierige Witwe Ulla Unseld-Berkéwicz, dort der stille, kompetente Geschäftsführer Günter Berg.

Eine Kurzfassung der Ereignisse der vergangenen Wochen - was bisher geschah: Bis Ende Oktober lag die operative Geschäftsführung der Verlage Suhrkamp und Insel, denen als Töchter der Jüdische und der Deutsche Klassiker Verlag angehören, bei zwei Männern: Günter Berg, zuständig für verlegerische Belange, und Philipp Röder, dem kaufmännischen Leiter. Als alleinige Geschäftsführerin der gesamten Holding fungierte bereits zu jenem Zeitpunkt Ulla Unseld-Berkéwicz - den beiden also vorgesetzt -, allerdings nicht mit der operativen Leitung der Verlage befasst.

Entmachtung

Ende Oktober, nach Ablauf des Trauerjahres, entschied Ulla Berkéwicz, selbst in die operative Geschäftsleitung einzusteigen, nach mehrwöchigen Beratungen wurde die Zahl der Geschäftsführer von zwei auf vier verdoppelt, zum vierten Geschäftsführer ernannte man den langjährigen Programmleiter Rainer Weiss.

Einen Monat nach der De-facto-Entmachtung Günter Bergs, Ende November, gab der Verlag die "einvernehmliche Trennung" von jenem Mann bekannt, der nach 14 Jahren im Verlag von Unseld selbst mit der Leitung betraut worden war und sich seines Geschicks in Marketing-fragen wegen allgemeiner Anerkennung erfreute.

Wieder eine Woche später trat nun der Stiftungsrat der Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung geschlossen zurück, jener Rat der fünf Suhrkamp-Weisen (Jürgen Habermas, Hans Magnus Enzensberger, Alexander Kluge, Wolf Singer, Adolf Muschg), der von Unseld dazu ausersehen war, in Entscheidungsfragen das intellektuelle Fortbestehen des Suhrkamp Verlags in seinem ursprünglichen Geist zu sichern.

"Gegen unseren Rat"

"Mit schwer wiegenden Entscheidungen konfrontiert, die ohne unsere Mitwirkung und entgegen unserem Rat gefallen sind" - Einschränkung: "Es geht nicht um Personen, sondern um die Leitungsstruktur des Suhrkamp Verlages" -, könnten sie "für die Folgen einer Entwicklung, auf die wir im Rahmen der eng begrenzten Befugnisse des Stiftungsrates keinen Einfluss haben, keine Verantwortung übernehmen." Als Autoren blieben sie dem Verlag jedoch weiterhin loyal verbunden.

Nun vertritt, um der allgemeinen Verwirrung noch eines draufzusetzen, die Stiftung (deren Vorsitz gleichfalls Ulla Berkéwicz innehat) mitnichten den gesamten Verlag, sondern lediglich die Gesellschafterrechte für die Mehrheitsbeteiligung von 51 Prozent, die Ulla Berkéwicz als Erbin Unselds am Verlag hält. Der Stiftungsrat hat also de facto ohnehin keine Verantwortung für die Folgen einer Personalentscheidung in der Holding zu tragen, die die Gesellschafterversammlung abgesegnet hat.

Folglich ist der geschlossene Rücktritt als gewichtiger symbolischer Akt der Missbilligung für die gefallenen Entscheidungen zu lesen.

Viele Anzeichen sprechen also dafür, die Rollenklischees der Suhrkamp-Soap zu zementieren. Wären da nicht immer wieder Mitarbeiter des Verlags, die nicht müde werden, ungefragt und glühend das Hohe Lied der Ulla Berkéwicz, ihres offenen, diskussionsbereiten Führungsstils und ihres unbedingten Qualitätsanspruchs zu singen, den durchzusetzen sie sich nicht scheue, aus der Stiftung zusätzliche Gelder zur Verfügung zu stellen.

Warten wir die Zukunft ab - sie verspricht in jedem Fall weitere spannende Folgen mit den Suhrkamps. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.12.2003)